Der Rebell
Chirurg wie Julian McKenzie begegnet, versicherte er Alaina. Beim Ausbruch des Krieges hatte er sich den konföderierten Streitkräften nicht angeschlossen, weil er glaubte, als Zivilist könnte er die Interessen Floridas besser wahrnehmen. Erbost schlug er mit der Faust auf den Tisch. »Dieses letzte Gemetzel war überflüssig. Die Jungs erzählten mir, sie seien in der Unterzahl und bereit gewesen, das Schiff dem Feind zu übergeben. Aber diese elenden Nordstaatler haben unsere Leute absichtlich ermordet. Natürlich, sie können ihre gefallenen Soldaten jederzeit ersetzen, während unsere Reserven allmählich zur Neige gehen werden. Deshalb bilden sie sich ein, sie müßten uns einfach nur umbringen, um zu siegen. Was für eine feige Bande! Aber sie kennen die Courage der Rebellen noch nicht.«
»Dr. Percy, nicht alle Yankees ...«, begann Julian.
»Diese verdammte Blockade!« fiel Percy ihm ins Wort. »Würde der Feind nur den Nachschub unseres Rüstungsmaterials und der Lebensmittel unterbinden, wäre es zu verkraften. Aber daß er uns auch noch die Medikamente wegnimmt, das Laudanum, das Morphium und Chinin, das wir so dringend brauchen ...«
»In einem Krieg lassen sich solche Dinge nicht vermeiden, Dr. Percy«, gab Julian zu bedenken.
Ein paar Minuten später, während sie gerade ihren Kaffee tranken, wurde Julian ins Lazarett gerufen. Dr. Percy und Alaina wollten ihn begleiten. Aber er protestierte
energisch. »Nur eine Kehlkopfdiphterie. Das schaffe ich schon allein. Bleibt hier und genießt euren Kaffee.«
Nachdem Julian das Gasthaus verlassen hatte, lehnte sich Dr. Percy zurück, immer noch empört. »Und dabei würden wir viel mehr Medikamente brauchen — jeden Tag . . .« Nachdenklich schaute er sie an, mit traurigen dunklen Augen. Das graue Haar, das auf seine Schultern herabhing, betonte seine melancholische Aura. »Wie ich höre, stammen Sie aus der Wildnis im Süden Floridas, Mrs. McKenzie.«
»Ja, ich wuchs auf einer kleinen Insel auf.«
»In der Biscayne Bay?«
Sie nickte erstaunt. Warum wußte er so gut über ihre Herkunft Bescheid?
»Also kennen Sie die Gegend da unten, die Sümpfe, die Felsenküsten, die Wege, die durch den nördlichen Teil des Staates führen.«
»Gewiß, aber ...«
»In diesem Krieg habe ich bereits einen Neffen verloren.« Plötzlich schienen seine Augen zu glühen.
»Das tut mir leid, Sir.«
»Das glaube ich Ihnen. Sie sind ihm mehrmals begegnet.«
»Tatsächlich?«
»O ja«, bestätigte er und lächelte bitter. »Captain Lewes war der Sohn meiner Schwester.«
»O Gott!« flüsterte Alaina. »Sein Tod ging mir sehr nahe. So ein wunderbarer, tapferer junger Mann ...«
»Er hielt sehr viel von Ihnen. Und er nannte Sie die Mokassinschlange.«
»Oh ...«, flüsterte sie unbehaglich.
Dr. Percy beugte sich vor und ergriff ihre Hand. »Bitte, hören Sie mir zu, Alaina. Wir brauchen Sie wieder. St. Augustine wird ständig von der habgierigen US-Navy belagert ... Wenn es mir auch schwerfällt, eine so zarte klei-ne Frau mit dieser schwierigen Aufgabe zu betrauen — das grausame Blutvergießen muß ein Ende finden.«
»Was könnte ich denn tun?« fragte Alaina unsicher.
»Nur wenige Leute brauchen zu erfahren, wer sich hinter dem Namen Mokassinschlange verbirgt.«
»Aber ...«
»Eines Nachts werde ich Sie aus der Stadt bringen und den Anschein erwecken, Sie würden heimfahren. In Wirklichkeit segeln Sie nach Freeport und nehmen von meinem britischen Freund, Dr. Bellamy, Medikamente entgegen. Danach reisen Sie in Ihre Biscayne Bay weiter, und der Kapitän des Schiffs bringt die Schmuggelware hierher. Oder Sie nehmen die Arzneien später selber mit. Für diese Aufgabe eignen Sie sich perfekt, Madam. Und Sie begeben sich nicht in Gefahr. Falls das Schiff auf hoher See vom Feind überfallen wird, geben Sie sich als Ehefrau des Panthers zu erkennen.«
»Was?« fragte Alaina verblüfft.
Percys Augen verengten sich. »Madam, Ihr Gemahl macht unsere ganze Küste unsicher, stiehlt unsere Waffen und Vorräte. Und nach jedem Raubzug verschwindet er, als hätte ihn der Erdboden verschluckt. Wie ein Panther schleicht er durch Sümpfe und Wälder. Niemand sieht ihn, bevor es zu spät ist, niemand kann ihm folgen. Immer wieder schlägt seine Truppe zu, zwischen South Carolina und Texas. Sie pirschen sich heran, um unsere Bastionen auszukundschaften, die Zahl unserer Soldaten, die Stellungen. Verstehen Sie, Madam? Sie, seine Ehefrau, wären bei jedem Unionsoffizier in
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