Der Regen - Laymon, R: Regen - One Rainy Night
Verrückter liest ihn und ist sauer, weil ich mich eingemischt habe.« Es war nicht etwa so, dass ihm gerade dies Sorgen bereitete, doch während der letzten Woche hatte er genügend Zeit gehabt, über ein paar Dinge nachzudenken, die ihn wirklich beunruhigten. »Die Sache hat noch einen anderen Haken. Sie werden Fotos von uns allen veröffentlichen wollen. Und vielleicht macht dein Bild irgendeinen perversen Mistkerl an, und er verfällt auf den Gedanken, dir einen Besuch abzustatten. «
»Oh, Herrgott noch mal!«
»Glaubst du, so was passiert nicht?«
»Das weiß ich doch nicht, aber …«
»Eines sage ich dir, ich werde auf keinen Fall zulassen,
dass sie Fotos von Kara in dem Schmierblatt veröffentlichen. « Oder von dir, dachte er. Und von mir auch nicht. Nie und nimmer. Und wenn sie auch nur versuchen, unseren Namen zu drucken, kriegen sie wegen Verletzung der Privatsphäre von mir einen Prozess an den Hals, der sich gewaschen hat.
»Du bist paranoid«, sagte Lynn. »Du bist völlig paranoid, weißt du das?«
»Ich finde nur, wir sollten nicht unnötig Aufmerksamkeit auf uns ziehen«, erwiderte er und schaffte es, seine Stimme ruhig und gefasst klingen zu lassen. »Was auch der Grund war, warum ich mich aus dem Staub machte, nachdem ich dem Bastard das Handwerk gelegt hatte.«
»Und der Grund, warum ich heute Abend meinen Nerz nicht trage und warum ich keinen Porsche haben kann und warum du nicht einmal versuchst , deine guten Arbeiten zu verkaufen, und warum wir den Rest unseres Lebens vom Erbe deines Vaters leben werden.«
»Du hast ja Recht«, brummte er, obwohl ihn ihre Worte verletzten. Wozu streiten? Sie hatte Recht, und er wusste es.
»Ein paar Dreckskerle nehmen dir mit fünfzehn deine Jacke ab, und wir zahlen für den Rest unseres Lebens dafür.«
»Sie haben mich fast umgebracht.«
Lynn verstummte.
»Weil sie meine Lederjacke wollten.«
»Ich weiß .« Ihre Stimme hatte ihre Schärfe verloren. Sie klang jetzt ruhig und beinahe flehend. »Aber John, wegen so was kann man doch nicht sagen, ich kaufe mir nie wieder eine Lederjacke.«
»Wenn du klug bist, schon.«
»Man gräbt sich deshalb kein Loch und versteckt sich darin.«
»Komm schon, Schatz, du kannst nicht gerade behaupten, dass wir in einem Loch leben und uns verstecken. Sich in einem Loch zu verkriechen ist was ganz anderes als nicht auffallen zu wollen – das ist ein himmelweiter Unterschied.«
»Wir würden wie Einsiedler leben, wenn ich nicht ständig dafür sorgen würde, dass du deinen Hintern aus dem Sessel kriegst.«
»Nein, würden wir nicht.«
»Du wärst wahrscheinlich am liebsten unsichtbar, wenn du’s dir aussuchen könntest.«
Er musste lachen. »Das nenn ich mal ’ne gute Idee.«
»Es wäre ideal für dich. Der unsichtbare Mann. Die vollkommene Anonymität.«
»Warum hab ich bloß selber noch nicht daran gedacht?«
Er hatte daran gedacht. Oft. Er war sich jedoch sicher, dass er Lynn nie etwas davon erzählt hatte. Es war seine Lieblingsfantasie, und er hatte sie stets für sich behalten. Der Wunsch, unsichtbar zu sein, war nicht unbedingt etwas, das man anderen auf die Nase band.
Aber falls er je über einen Flaschengeist stolperte, wäre das sein erster Wunsch. Und der einzige Wunsch, den er wirklich bräuchte.
Er würde natürlich nicht die ganze Zeit unsichtbar sein wollen. Es nach eigenem Belieben steuern zu können, das wäre der Clou.
Er würde sich nie wieder darüber Sorgen machen müssen, dass ihn die Irren dieser Welt aufs Korn nahmen. Man
kann jemanden, den man nicht sieht, nicht überfallen, ausrauben oder ermorden. Dieser Teil seiner Wunschvorstellung, das wusste er, war irgendwie feige. Der andere Aspekt des Unsichtbarseins, der ihm ebenso gefiel, hatte zwar nichts mit Feigheit zu tun, war aber noch beschämender.
Als Teenager hatte er sich oft vorgestellt, wie es wäre, unsichtbar zu sein und nach der Turnstunde in die Dusche der Mädchen zu schleichen. Diesen Tagtraum hatte er nicht aufgegeben. Doch jetzt traten in seinen Fantasien keine Teenager mehr auf, sondern hübsche junge Frauen. Die er beobachtete, während sie sich auszogen und duschten.
Wenn er unsichtbar wäre, könnte er auch andere Dinge tun: Leute belauschen, alles stehlen, was er wollte, seine Feinde das Fürchten lehren, sogar einen Mord begehen. Nicht, dass er das wirklich tun würde. Er verspürte keinerlei Wunsch, irgendetwas davon zu tun, und verschwendete selten einen Gedanken daran. Seine Fantasien gingen selten
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