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Der Reisende

Der Reisende

Titel: Der Reisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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Larner.« Die Frau ignorierte ihre ausgestreckte Hand. »Falls ich mich nicht hätte einmischen sollen, tut es mir leid, aber wie Ihr seht, hat der Junge einige ernsthafte Verletzungen davongetragen.«
    »Nur ‘ne blutige Nase, mehr nicht«, sagte der Junge. Doch sein Humpeln wies auf andere, weniger sichtbare Verletzungen hin.
    »Kommt herein«, sagte die Frau.
    Peggy hatte keine Ahnung, ob die Frau nur zu den Kindern sprach oder die Einladung sie einschloß. Falls man es eine Einladung nennen konnte, so leblos hatte sie gesprochen, ohne von der Schüssel hochzuschauen, deren Inhalt sie umrührte. Die Frau wandte sich ab und verschwand im Haus. Die Kinder folgten ihr. Peggy schließlich auch.
    Niemand hielt sie auf oder schien ihre Tat befremdlich zu finden. Dieser Umstand bewirkte, daß sie sich nun zum erstenmal fragte, ob sie vielleicht in der Kutsche eingeschlafen und dies ein seltsamer Traum war, in dem unerklärliche, unnatürliche Dinge geschahen, die im Land der Träume, in dem es keine Gebräuche gab, die verletzt werden konnten, keine Kommentare hervorriefen. Wo ich jetzt bin, ist nicht die Wirklichkeit. Draußen warten die Kutsche und das Gespann der vier Pferde, ganz zu schweigen von dem Kutscher, der ein so echter und weltlicher Bursche ist wie jeder andere Mann auch, der je auf dem Kutschbock gerülpst hat. Doch als ich dieses Haus betrat, habe ich einen unnatürlichen Ort betreten. Hier gibt es keine Herzensfeuer.
    Die Kinder verschwanden, stapften irgendwo über den Holzboden des Hauses, und mindestens eins von ihnen ging eine Treppe hinauf oder hinab; es mußte ein Kind sein, so viel Kraft war in den Schritten. Aber es gab keine Geräusche, die Peggy verrieten, wohin sie gehen sollte, oder welchen Zweck sie erfüllt hatte, indem sie hierher gekommen war. Gab es hier keine Ordnung? Nichts, das durch ihre Anwesenheit gestört wurde? Würden hier lediglich die Kinder sie jemals bemerken?
    Sie wollte wieder hinausgehen, zur Kutsche zurückkehren, doch als sie sich nun umdrehte, konnte sie sich nicht mehr erinnern, durch welche Tür sie gekommen war, oder auch nur, in welcher Richtung Norden lag. Die Fenster waren verhangen, und durch welche Tür auch immer sie das Haus betreten haben mochte, sie konnte sie nicht mehr sehen.
    Es war ein seltsamer Ort, denn überall befand sich Stoff, ordentlich zusammengefaltet und auf allen Möbeln gestapelt, auf den Böden, auf den Treppenstufen, als hätte jemand soeben genug Stoff gekauft, um daraus tausend Kleider zu machen, und wartete nun auf die Schneider und Näherinnen. Dann wurde ihr klar, daß die Stoffmasse von einem einzigen Ballen stammte und vom Ende des einen Stapels in den Anfang des nächsten floß. Wie konnte es einen so umfangreichen Ballen geben? Warum sollte jemand so etwas herstellen, anstatt ihn durchzuschneiden und zu verschicken, damit man daraus etwas schneidern konnte?
    Ja, fürwahr, warum? Wie töricht von ihr, daß sie es nicht sofort gemerkt hatte. Sie kannte diesen Ort. Sie hatte ihn nicht selbst besucht, sondern durch Alvins Herzfeuer gesehen, vor vielen Jahren.
    In jenen Tagen hatte er noch in Ta-Kumsaws Bann gestanden. Der rote Krieger hatte Alvin mitgenommen und in seine Legende eingebracht, so daß jene, die nun von Alvin Smith dem Suchermörder oder Alvin Smith und dem goldenen Pflug sprachen, früher von demselben Jungen gesprochen hatten, ohne es zu wissen, wenn sie von dem bösen »Renegado-Jungen« erzählten, dem weißen Jungen, der im letzten Jahr vor dessen Niederlage bei Fort Detroit Ta-Kumsaw auf all seinen Reisen begleitet hatte. In dieser Gestalt war Alvin hierher gekommen und diesen Korridor entlang gegangen, ja, hier war er rechts abgebogen, genau, er hatte den gefalteten Stoff im ältesten Teil des Hauses abgeschritten, das ursprüngliche Blockhaus, war in das schräg fallende Licht getreten, das keine Quelle zu haben schien, als fiele es lediglich durch die Spalten zwischen den Baumstämmen ein. Und wenn ich diese Tür öffne, werde ich hier die Frau mit dem Webstuhl finden. Das ist der Ort des Webens.
    Tante Becca. Natürlich kannte sie den Namen. Becca, die Weberin, die die Lebensfäden aller Weißen hielt, die in Nordamerika lebten.
    Die Frau hinter dem Webstuhl schaute auf. »Ich habe dich hier nicht gewollt«, sagte sie leise.
    »Und ich habe nicht vorgehabt, hierher zu kommen«, sagte Peggy. »Um die Wahrheit zu sagen … ich hatte dich vergessen. Du bist meinem Geist entglitten.«
    »So sollte es auch sein.

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