Der Reiz des Verbotenen - Page, S: Reiz des Verbotenen
sie auf den Mund geküsst und ihrer Zunge Gelegenheit gegeben, köstlichere Dinge zu tun, als zu sprechen. Und als der wie eine schwarze Perle schimmernde Himmel die Morgendämmerung begrüßt hatte, hatte er sie zum Bett getragen.
Doch nun wusste sie, dass die Bilder zwischen ihnen standen. Sie wusste nicht, was er über ihre Malerei dachte. War er ihr böse?
Wieder sagte Marcus nichts. Er zog etwas aus seiner Tasche und ließ es direkt vor ihr durch seine Finger gleiten. Es war ein hauchdünner Schleier. Lächelnd band er ihn um ihre Haube. „Nicht maskiert, aber immer noch ein Rätsel.“
Da sie durch den Schleier hindurch sehen konnte, fragte sie sich, wie viel er von ihrem Gesicht verbarg.
Marcus legte ihre Hand in seine Armbeuge und führte sie zum Haupteingang von Abbersley. Bis auf Rutledge, der korrekt gekleidet und mit strengem Gesichtsausdruck neben der Tür stand, hielt sich niemand in der Eingangshalle auf.
„Geht es Lady Chartrand besser?“, fragte Venetia den Butler spontan, als sie an ihm vorbeigingen. Die arme Lady Chartrand hatte im Salon einen Zusammenbruch erlitten und gestanden, dass Chartrand seine erste Frau getötet hatte. Sie schluchzte herzzerreißend in ihre Hände und weinte: „Er hat sie umgebracht. Ich hatte nichts damit zu tun. Er schwor, er habe es für mich getan, aber das ist nicht wahr. Sie wollte mit einem anderen Mann nach Italien durchbrennen. Und er wollte nicht zulassen, dass ein anderer sie besaß. Sie war seine erste Frau, seine erste und einzige Liebe …“
Laudanum hatte sie beruhigt und ihr den Schlaf gebracht. Neben ihrem Bett hatte Lady Yardley gewacht und sie beruhigt. Venetia war erleichtert, dass Lady Yardleys Sohn sicher vor Lügen und Skandalen sein würde. Lady Chartrand, die ihren Mann offenbar sehr geliebt hatte, tat ihr von Herzen leid. Eine weitere unerwiderte Liebe.
„Ich glaube, es geht ihr besser, Madam.“ Rutledge verbeugte sich.
Venetia atmete tief durch und ging an Marcus‘ Arm die Stufen hinunter. Ihre krempige Haube und der Schleier verbargen ihr Gesicht, doch sie bemerkte bald, dass niemand sie ansah. In der Auffahrt machten ein Heer von Dienern und Knechten die Kutschen bereit. Die Gäste eilten aus dem Haus und stürzten zu ihren Fahrzeugen, wobei ihnen die Erleichterung deutlich anzusehen war. Augenscheinlich hatte Lord Aspers sie alle darüber informiert, dass die Bücher verbrannt worden waren.
Der Duke of Montberry wirkte stoisch und teilnahmslos, als er seine prunkvolle Kutsche bestieg. Lord Brude sah wilder und grüblerischer denn je aus. Mr. Wembly war zerzaust, seine Krawatte hing schief.
Lord Swansborough blieb stehen, um Venetias Hand zu küssen. „ Au revoir, meine liebe Füchsin“, murmelte er.
Kalte, betäubende Angst rann durch ihre Adern. Wie viel konnte er von ihrem Gesicht erkennen?
Swansborough schenkte ihr ein warmes Lächeln. „Ich kann hinter dem Schleier nur einen Hauch Ihrer Lieblichkeit erkennen, meine Liebe. Doch selbst wenn ich Sie sehen könnte, würde ich niemals Ihre Identität preisgeben. Ich bin Ihnen zur Dankbarkeit verpflichtet.“
Er zwinkerte ihr zu! Dann schwang er sich in seine hohe zweirädrige Kutsche, griff nach den Zügeln, und gleich darauf setzten sich seine vier kohlrabenschwarzen Pferde in Bewegung.
Ein Laufbursche hielt die Tür von Marcus‘ glänzender schwarzer Kutsche auf – die beiden Knechte, denen Juliette Schlafmittel verabreicht hatte, waren noch nicht wieder auf den Beinen. Der Anblick des teilnahmslosen Gesichts und der roten und silbernen Uniform des Dieners ließ Venetia unwillkürlich erschaudern.
Marcus zog sie beiseite. Für wenige Augenblicke waren sie außer Hörweite von Dienern und Gästen. „Bist du in Ordnung, mein Herz?“, fragte er sie sanft.
Mein Herz.
Sie nickte. Mit einer Hand hielt sie ihre Haube fest, als der Frühlingswind daran zerrte.
Marcus verschränkte seine Finger mit ihren. „Lass uns nach London zurückfahren. Nach Hause. Zusammen. Unterwegs müssen wir über etwas sehr Wichtiges sprechen.“
22. KAPITEL
„Was wirst du mit deinen Skizzen tun, Liebste? Mit den Skizzen von der Orgie, auf denen ich nicht vorkomme?“ Als sich die Kutsche in Bewegung setzte, öffnete Marcus die große Schleife unter Venetias Kinn und nahm ihr die Haube ab.
Er wollte sie von der Angst ablenken, der sie ins Gesicht geschaut hatte, und wollte gleichzeitig seine eigenen Erinnerungen verdrängen – an das Knallen der Pistole, an das dumpfe Geräusch, mit
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