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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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genießen wir den Vorteil, daß uns ein Ochse in seinem Ungestüm den Weg
    bahnte (Tschanz wurde bei diesen Worten des Kommissärs rot vor Ärger). Bleiben wir bei den Fragen und bei den Antworten, die nun in Gottes Namen gefallen sind. Fassen wir die Gelegenheit beim Schöpf. Wie denken Sie sich nun die Angelegenheit, mein Herr? Ist Gastmann fähig, als Mörder in Frage zu kommen?«
    Im Zimmer war es nun rasch dunkler geworden, doch fiel es dem Schriftsteller nicht ein, Licht zu machen. Er setzte sich in die Fensternische, so daß die Polizisten wie Gefangene in einer Höhle saßen.
    »Ich halte Gastmann zu jedem Verbrechen fä-
    hig«, kam es brutal vom Fenster her, mit einer Stimme, die nicht ohne Heimtücke war. »Doch bin ich überzeugt, daß er den Mord an Schmied nicht begangen hat.«

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    »Sie kennen Gastmann«, sagte Bärlach.
    »Ich mache mir ein Bild von ihm«, sagte der Schriftsteller.
    »Sie machen sich Ihr Bild von ihm«, korrigierte der Alte kühl die dunkle Masse vor ihnen im Fensterrahmen.
    »Was mich an ihm fasziniert, ist nicht so sehr seine Kochkunst, obgleich ich mich nicht so leicht für etwas anderes mehr begeistere, sondern die Möglichkeit eines Menschen, der nun wirklich ein Nihilist ist«, sagte der Schriftsteller. »Es ist immer atemraubend, einem Schlagwort in Wirklichkeit zu begegnen.«
    »Es ist vor allem immer atemraubend, einem Schriftsteller zuzuhören«, sagte der Kommissär trocken.
    »Vielleicht hat Gastmann mehr Gutes getan als wir drei zusammen, die wir hier in diesem schiefen Zimmer sitzen«, fuhr der Schriftsteller fort.« Wenn ich ihn schlecht nenne, so darum, weil er das Gute ebenso aus einer Laune, aus einem Einfall tut wie das Schlechte, welches ich ihm zutraue. Er wird nie das Böse tun, um etwas zu erreichen, wie andere ihre Verbrechen begehen, um Geld zu besitzen, eine Frau zu erobern oder Macht zu gewinnen, er wird es tun, wenn es sinnlos ist, vielleicht, denn bei ihm sind immer zwei Dinge möglich, das Schlechte und das Gute, und der Zufall entscheidet.«
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    »Sie folgern dies, als wäre es Mathematik«, entgegnete der Alte.
    »Es ist auch Mathematik«, antwortete der
    Schriftsteller. »Man könnte sein Gegenteil im Bö-
    sen konstruieren, wie man eine geometrische Figur als Spiegelbild einer ändern konstruiert, und ich bin sicher, daß es auch einen solchen Menschen gibt — irgendwo — vielleicht werden Sie auch diesem begegnen. Begegnet man einem, begegnet man dem ändern.«
    »Das klingt wie ein Programm«, sagte der Alte.
    »Nun, es ist auch ein Programm, warum nicht«, sagte der Schriftsteller. »So denke ich mir als Gastmanns Spiegelbild einen Menschen, der ein Verbrecher wäre, weil das Böse seine Moral, seine Philosophie darstellt, das er ebenso fanatisch täte wie ein anderer aus Einsicht das Gute.«
    Der Kommissär meinte, man solle nun doch lieber auf Gastmann zurückkommen, der liege ihm näher.
    »Wie Sie wollen«, sagte der Schriftsteller,
    »kommen wir auf Gastmann zurück, Kommissär, zu diesem einen Pol des Bösen. Bei ihm ist das Böse nicht der Ausdruck einer Philosophie oder eines Triebes, sondern seiner Freiheit: der Freiheit des Nichts.«
    »Für diese Freiheit gebe ich keinen Pfennig«, antwortete der Alte.
    »Sie sollen auch keinen Pfennig dafür geben«, 100
    entgegnete der andere. »Aber man könnte sein Le -
    ben daran geben, diesen Mann und diese seine Freiheit zu studieren.«
    »Sein Leben«, sagte der Alte.
    Der Schriftsteller schwieg. Er schien nichts mehr sagen zu wollen.
    »Ich habe es mit einem wirklichen Gastmann zu tun«, sagte der Alte endlich. »Mit einem
    Menschen, der bei Lamlingen auf der Ebene des Tessenberges wohnt und Gesellschaften gibt, die einem Polizeileutnant das Leben gekostet haben.
    Ich sollte wissen, ob das Bild, das Sie mir gezeigt haben, das Bild Gastmanns ist oder jenes Ihrer Träume.«
    »Unserer Träume«, sagte der Schriftsteller.
    Der Kommissär schwieg.
    »Ich weiß es nicht«, schloß der Schriftsteller und kam auf die beiden zu, sich zu verabschieden, nur Bärlach die Hand reichend, nur ihm. »Ich habe mich um dergleichen nie gekümmert. Es ist schließlich Aufgabe der Polizei, diese Frage zu untersuchen.«

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    Die zwei Polizisten gingen wieder zu ihrem Wagen, vom weißen Hündchen verfolgt, das sie wütend anbellte, und Tschanz setzte sich ans Steuer.
    Er sagte: »Dieser Schriftsteller gefällt mir nicht.« Bärlach ordnete den Mantel, bevor er einstieg. Das Hündchen war auf eine Rebmauer

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