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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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ich kenne dich.«
    »Nein«, gab der Alte zu, »ich habe nichts dergleichen.«
    »Willst du nicht den Revolver brauchen, mich zu hindern?« fragte der andere spöttisch.
    »Du hast die Munition herausgenommen«, antwortete Bärlach unbeweglich.
    »Eben«, sagte der andere und klopfte ihm auf die Schulter. Dann ging er am Alten vorbei, die Türe öffnete sich, schloß sich wieder, draußen ging eine zweite Türe. Bärlach saß immer noch in seinem Lehnstuhl, die Wange an das kalte Eisen des Messers gelehnt. Doch plötzlich ergriff er die Waffe und schaute nach. Sie war geladen. Er sprang auf, lief in den Vorraum und dann zur Haustüre, die er aufriß, die Waffe in der Faust.
    Die Straße war leer.
    Dann kam der Schmerz, der ungeheure, wü-
    tende, stechende Schmerz, eine Sonne, die in ihm 86
    aufging, ihn aufs Lager warf, zusammenkrümmte, mit Fiebergluten überbrühte, schüttelte. Der Alte kroch auf Händen und Füßen herum wie ein Tier, warf sich zu Boden, wälzte sich über den Teppich und blieb dann liegen, irgendwo in seinem Zimmer, zwischen den Stühlen, mit kaltem Schweiß bedeckt. »Was ist der Mensch?« stöhnte er leise,
    »was ist der Mensch?«

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    Doch kam er wieder hoch. Nach dem Anfall fühlte er sich besser, schmerzfrei seit langem. Er trank angewärmten Wein in kleinen, vorsichtigen Schlucken, sonst nahm er nichts zu sich. Er verzichtete jedoch nicht, den gewohnten Weg durch die Stadt und über die Bundesterrasse zu gehen, halb schlafend zwar, aber jeder Schritt in der reingefegten Luft tat ihm wohl. Lutz, dem er bald darauf im Bureau gegenübersaß, bemerkte nichts, war vielleicht auch zu sehr mit seinem schlechten Gewissen beschäftigt, um etwas bemerken zu können. Er hatte sich entschlossen, Bärlach über die Unterredung mit von Schwendi noch diesen Nachmittag zu orientieren, nicht erst gegen Abend, hatte sich dazu auch in eine kalte, sachliche Positur mit vorgereckter Brust geworfen, wie der General auf Traffelets Bild über ihm, den Alten in forschem Telegrammstil unterrichtend. Zu seiner maßlosen Überraschung hatte jedoch der Kommissär nichts dagegen einzuwenden, er war mit allem einverstanden, er meinte, es sei weitaus das 88
    beste, den Entscheid des Bundeshauses abzuwarten und die Nachforschungen hauptsächlich auf das Leben Schmieds zu konzentrieren. Lutz war dermaßen überrascht, daß er ganz leutselig wurde.
    »Natürlich habe ich mich über Gastmann orientiert«, sagte er, »und weiß genug von ihm, um überzeugt zu sein, daß er unmöglich als Mörder irgendwie in Betracht kommen kann.«
    »Natürlich«, sagte der Alte.
    Lutz, der über Mittag von Biel einige Informa-tionen erhalten hatte, spielte den sicheren Mann:
    »Gebürtig aus Fockau in Sachsen, Sohn eines Großkaufmanns in Lederwaren, erst Argentinier, deren Gesandter in China er war — er mu ß in der Jugend nach Südamerika ausgewandert sein -~, dann Franzose, meistens auf ausgedehnten Reisen.
    Er trägt das Kreuz der Ehrenlegion und ist durch Publikationen über biologische Fragen bekannt geworden. Bezeichnend für seinen Charakter ist, daß er es ablehnte, in die Französische Akademie aufgenommen zu werden. Das imponiert mir.«
    »Ein interessanter Zug«, sagte Bärlach.
    »Über seine zwei Diener werden noch Erkun-digungen eingezogen. Sie haben französische Pässe, scheinen jedoch aus dem Emmental zu stammen. Er hat sich mit ihnen bei der Beerdigung einen bösen Spaß geleistet.«
    »Das scheint Gastmanns Art zu sein, Witze zu machen«, sagte der Alte.
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    »Er wird sich eben über seinen toten Hund ärgern. Vor allem ist der Fall Schmied für uns ärgerlich. Wir stehen in einem vollkommen falschen Licht da. Wir können von Glück reden, daß ich mit von Schwendi befreundet bin. Gastmann ist ein Weltmann und genießt das volle Vertrauen
    schweizerischer Unternehmer.«
    »Dann wird er schon richtig sein.«
    »Seine Persönlichkeit steht über jedem Verdacht«, fügte Lutz hinzu.
    »Entschieden«, nickte der Alte.
    »Leider können wir das nicht mehr von Schmied sagen«, schloß Lutz und ließ sich mit dem Bundeshaus verbinden.
    Doch wie er am Apparat wartete, sagte plötzlich der Kommissär, der sich schon zum Gehen
    gewandt hatte:
    »Ich muß Sie um eine Woche Krankheitsurlaub bitten, Herr Doktor.«
    »Es ist gut«, antwortete Lutz, »am Montag brauchen Sie nicht zu kommen!«
    In Bärlachs Zimmer wartete Tschanz, der sich beim Eintreten des Alten erhob. Er gab sich ruhig, doch der Kommissär spürte, daß der

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