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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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können ihn dazu bringen, mich zu Gastmann gehen zu lassen.«
    »Nein, Tschanz«, sagte Bärlach, »ich kann das nicht.« Der andere rüttelte ihn wie einen Schul-buben, hielt ihn zwischen den Fäusten, schrie:
    »Reden Sie mit Lutz, reden Sie!«
    Doch der Alte ließ sich nicht erweichen: »Es geht nicht, Tschanz«, sagte er. »Ich bin nicht mehr für diese Dinge zu haben. Ich bin ajt und krank. Da braucht man seine Ruhe. Du mußt dir selber helfen.«
    »Gut«, sagte Tschanz, ließ plötzlich von Bärlach ab und ergriff wieder das Steuer, wenn auch totenbleich und zitternd. »Dann nicht. Sie können mir nicht helfen.«
    Sie fuhren wieder gegen Ligerz hinunter.
    »Du bist doch in Grindelwald in den Ferien gewesen? Pension Eiger?« fragte der Alte.
    »Jawohl, Kommissär.«
    »Still und nicht zu teuer?«
    »Wie Sie sagen.«
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    »Gut, Tschanz, ich fahre morgen dorthin, um mich auszuruhen. Ich muß in die Höhe. Ich habe für eine Woche Krankenurlaub genommen.«
    Tschanz antwortete nicht sofort. Erst als sie in die Straße Biel-Neuenburg einbogen, meinte er, und seine Stimme klang wieder wie sonst:
    »Die Höhe tut nicht immer gut, Kommissär.«

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    Noch am selben Abend ging Bärlach zu seinem Arzt am Bärenplatz, Doktor Samuel Hungertobel.
    Die Lichter brannten schon, von Minute zu Minute brach eine immer finsterere Nacht herein. Bärlach schaute von Hungertobels Fenster auf den Platz hinunter, auf die wogende Flut der Menschen. Der Arzt packte seine Instrumente zusammen. Bärlach und Hungertobel kannten sich schon lange, sie waren zusammen auf dem Gymnasium gewesen.
    »Das Herz ist gut«, sagte Hungertobel, »Gott sei Dank!«
    »Hast du Aufzeichnungen über meinen Fall?«
    fragte ihn Bärlach.
    »Eine ganze Aktenmappe«, antwortete der Arzt und wies auf einen Papierstoß auf dem Schreibtisch. »Alles deine Krankheit.«
    »Du hast zu niemandem über meine Krankheit geredet, Hungertobel?« fragte der Alte.
    »Aber Hans?« sagte der andere alte Mann, »das ist doch Arztgeheimnis.«
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    Drunten auf dem Platz fuhr ein blauer Mercedes vor, hielt zwischen anderen Wagen, die dort park-ten. Bärlach sah genauer hin. Tschanz stieg aus und ein Mädchen in weißem Regenmantel, über den das Haar in blonden Strähnen floß.
    »Ist bei dir einmal eingebrochen worden,
    Fritz?« fragte der Kommissär.
    »Wie kommst du darauf?«
    »Nur so.«
    »Einmal war mein Schreibtisch durcheinander«, gestand Hungertobel, »und deine Krankheitsgeschichte lag oben auf dem Schreibtisch. Geld fehlte keins, obschon ziemlich viel im Schreibtisch war.«
    »Und warum hast du das nicht gemeldet?«
    Der Arzt kratzte sich im Haar. »Geld fehlte, wie gesagt, keins, und ich wollte es eigentlich trotzdem melden. Aber dann habe ich es vergessen.«
    »So«, sagte Bärlach, »du hast es vergessen. Bei dir wenigstens geht es den Einbrechern gut.« Und er dachte: »Daher weiß es also Gastmann.« Er schaute wieder auf den Platz hinunter. Tschanz trat nun mit dem Mädchen in das italienische Restaurant. »Am Tage seiner Beerdigung«, dachte Bärlach und wandte sich nun endgültig vom Fenster ab. Er sah Hungertobel an, der am Schreibtisch saß und schrieb.
    »Wie steht es nun mit mir?«
    »Hast du Schmerzen?«
    Der Alte erzählte ihm seinen Anfall.
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    »Das ist schlimm, Hans«, sagte Hungertobel,
    »wir müssen dich innert drei Tagen operieren. Es geht nicht mehr anders.«
    »Ich fühle mich jetzt wohl wie nie.«
    »In vier Tagen wird ein neuer Anfall kommen, Hans«, sagte der Arzt, »und den wirst du nicht mehr überleben.«
    »Zwei Tage habe ich also noch Zeit. Zwei Tage.
    Und am Morgen des dritten Tages wirst du mich operieren. Am Dienstagmorgen.«
    »Am Dienstagmorgen«, sagte Hungertobel.
    »Und dann habe ich noch ein Jahr zu leben, nicht wahr, Fritz?« sagte Bärlach und sah undurchdringlich wie immer auf seinen Schulfreund. Der sprang auf und ging durchs Zimmer.
    »Wie kommst du auf solchen Unsinn!«
    »Von dem, der meine Krankheitsgeschichte
    las.«
    »Bist du der Einbrecher?« rief der Arzt erregt.
    Bärlach schüttelte den Kopf: »Nein, nicht ich.
    Aber dennoch ist es so, Fritz; nur noch ein Jahr.«
    »Nur noch ein Jahr«, antwortete Hungertobel, setzte sich an der Wand seines Ordinationszim-mers auf einen Stuhl und sah hilflos zu Bärlach hinüber, der in der Mitte des Zimmers stand, in ferner, kalter Einsamkeit, unbeweglich und demü -
    tig, vor dessen verlorenem Blick der Arzt nun die Augen senkte.

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    Gegen zwei Uhr nachts wachte

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