Der Richter und sein Henker (German Edition)
Die menschliche Würde wird bei Dürrenmatt nicht verkauft und verraten. Dürrenmatt hat als Dramatiker begonnen. Die Ehe des Herrn Mississippi war einer der ganz wenigen Erfolge eines deutschsprachigen Autors der jungen Generation während der Nachkriegszeit. Das Stück hat etwas Reißerisches im guten Sinne des Wortes: Dürrenmatt weiß, daß man mit »Weltanschauung« zwar Literaten aufregen, aber kein Publikum ins Theater bringen kann; darum scheut er sich nicht vor Gift, Mord und Totschlag auf der Bühne. Zwar läßt er den Grafen Bodo am Ende eine etwas mißglückte Rede halten, in der offenbar »gedeutet« werden soll, was zuvor geschehen ist, doch im übrigen geht es handfest her, und die Gestalten sind keine Schemen, sondern Menschen.
Das gleiche gilt für Dürrenmatts Erzählungen. In weiser Beschränkung hat er keine »Romane« geschrieben, eine Gattung, die im deutschen Sprachbereich den Geschmack des »Hintergründigen« und »Bedeutenden« anzunehmen pflegt, sondern einfach Geschichten, Kriminalgeschichten mit literarischem Charakter, auf welche die Literaten mit gerümpfter Nase hinabzublicken pflegen. Ganz zu Unrecht, wie mir scheint; denn an der Kriminalgeschichte zeigt sich, wer erzählen kann. Man sollte nicht vergessen, daß Schiller, dem es ja an Tiefe nicht fehlte, den Geisterseher geschrieben hat und den Pitaval in einer deutschen Auswahl herausgeben wollte. Er wußte nämlich, daß das dramatische Handwerk ohne äußere Spannung nicht auskommt – und hier liegt die innere Verwandtschaft des Dramatikers und des Kriminalgeschichtenerzählers. Dürrenmatts Kriminalgeschichten heißen Der Richter und sein Henker und Der Verdacht. Beide spielen in der Schweiz; im Mittelpunkt steht jeweils der todkranke »Kommissär« Bärlach:
»Bärlach hatte lange im Auslande gelebt und sich in Konstantinopel und dann in Deutschland als bekannter Kriminalist hervorgetan. Zuletzt war er der Kriminalpolizei Frankfurt am Main vorgestanden, doch kehrte er schon dreiunddreißig in seine Vaterstadt zurück. Der Grund seiner Heimreise war nicht so sehr seine Liebe zu Bern, das er oft sein goldenes Grab nannte, sondern eine Ohrfeige gewesen, die er einem hohen Beamten der damaligen neuen deutschen Regierung gegeben hatte. In Frankfurt wurde damals über diese Gewalttätigkeit viel gesprochen, und in Bern bewertete man sie, je nach dem Stand der europäischen Politik, zuerst als empörend, dann als verurteilungswert, aber doch noch begreiflich, und endlich sogar als die einzige für einen Schweizer mögliche Haltung; dies aber erst fünfundvierzig.«
Es wäre unhöflich, etwas über den Inhalt der Geschichten zu verraten; nur soviel sei gesagt, daß der alte Bärlach ein ebenso ausgezeichneter Kriminalist ist wie sein geistiger Vater ein tüchtiger, manchmal etwas knorriger Stilist. Zwar weiß man in der ersten Geschichte spätestens ab Seite 104, wer der Mörder des ehrgeizigen Polizeileutnants Schmied ist, aber das tut der Spannung so wenig Abbruch wie die Voraussicht des Siegers bei einem guten Schachspiel. Denn Dürrenmatt beherrscht neben dem literarischen Urelement der Spannung die zweite unerläßliche Technik des ordentlichen Erzählers: die Fähigkeit, Atmosphäre zu schaffen. Von grausiger Ironie erfüllt ist die Szene der Beerdigung des ermordeten Polizeileutnants:
»Der Schloßhaldenfriedhof schob sich zwischen den dampfenden Stämmen hervor, ein graues, verregnetes Gemäuer. […] Nur noch der Kranz lag da, hingeworfen über den Sarg, und auf dem schmutzigen Band stand in verfließendem Schwarz: ›Unserem lieben Doktor Prantl‹.«
Ganz unphilosophisch geht es freilich in diesen Kriminalgeschichten so wenig wie in Dürrenmatts Dramen zu; doch das philosophische Moment ist geschickt in den Dialog verwoben; es entwickelt sich unverkrampft und organisch aus der Situation:
»Im Zimmer war es nun rasch dunkler geworden, doch fiel es dem Schriftsteller nicht ein, Licht zu machen. Er setzte sich in die Fensternische, so daß die beiden Polizisten wie Gefangene in einer Höhle saßen.
›Ich halte Gastmann zu jedem Verbrechen fähig‹, kam es brutal vom Fenster her, mit einer Stimme, die nicht ohne Heimtücke war. ›Doch bin ich überzeugt, daß er den Mord an Schmied nicht begangen hat.‹ […] Der Schriftsteller schwieg. Er schien nichts mehr sagen zu wollen. ›Ich habe es mit einem wirklichen Gastmann zu tun‹, sagte der Alte endlich. ›Mit einem Menschen, der bei Lamlingen auf der Ebene des
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