Der Richter und sein Henker (German Edition)
munter drauflosschwadronierenden Traps.)
Dürrenmatt liebt die Paradoxie: Naturschilderungen korrespondieren mit Morden; Unschuldsbeteuerungen warten darauf, in Selbstbezichtigungen umzukippen; große Kriminalisten blasen zur Attacke – und sind moribund oder von Verblödung gezeichnet. Ein ebenso spannendes wie facettenreiches Wechselspiel, wohin immer man blickt. Da sind auf der einen Seite die uralten, dreiviertel betrunkenen Gerechtigkeitsdarsteller, da ist ein todkranker Kriminalist und ein von der fixen Idee der genialen Fallenstellerei gejagter Beamter, und da sind auf der anderen Seite die Zielstrebig-Normalen, die kalten Rechner und planmäßigen Katastrophenbeförderer. (Wobei sich die Fronten vertauschen können, wie die Figur des irren Mörders Albertchen in Das Versprechen zeigt, der, im Unterschied zu Emmenberger, Gastmann und auch zu Alfredo Traps, eher Opfer als Täter ist.)
Ein ungleicher Kampf auf den ersten Blick: Was, denkt der Leser, kann dieser Bärlach, der nur noch ein einziges Jahr zu leben hat, schon gegen die Kamarilla eines Gastmann oder Emmenberger ausrichten – gegen die internationale Finanzwelt, die Schweizer Großbourgeoisie, die Verbrechersyndikate und die zu Kameradschaftstreffen strömenden alten Nazis in aller Welt?
Nun, er kann viel ausrichten; der einzelne ist dem Kollektiv und dessen Führern überlegen, wenn er sich, so Dürrenmatt, zu seiner Anfälligkeit, seiner Schwäche, seiner Kreatürlichkeit bekennt – zu seiner Sterblichkeit und Knechtsnatur. Anders als die Logisten auf der anderen Seite rechnet der Dürrenmattsche Detektiv mit dem Zufall, der Unlogik des Geschehens, ja dessen Sinnlosigkeit. Das Schachspiel mit Menschen verachtend, entdeckt er, der Widerspruchsreiche, Widersprüche in den Kombinationen seiner Gegner – und nützt sie gnadenlos aus.
Jawohl, gnadenlos! Bärlach und seinesgleichen mögen sympathisch, auch bewundernswert wegen ihrer »Intelligenz« sein, ihrem so tun als ob und ihrem souveränen, beiläufig vorgeführten Fintieren: Helden, bürgerliche Heroen à la Maigret oder Poirot sind sie nicht. Im Gegenteil – die Art und Weise, in der Bärlach (Der Richter und sein Henker) seinen Widerpart ins Messer laufen läßt; das ausgeklügelte Kalkül, mit dessen Hilfe er einen kleinen auf einen großen Mörder ansetzt; die Überheblichkeit, die ihn kaltblütig Menschen opfern läßt, nur damit er am Ende seine Wette gewinnt … Dies alles zeigt, noch einmal, die Zweideutigkeit der Dürrenmattschen Kriminalisten.
Doch eben diese Ambivalenz, diese Moralität am Rand der Amoral, läßt sie so faszinierend sein und gibt ihnen den Rang im ständig wiederholten Reigen der Akteure mit seinen unerwarteten Positionsveränderungen und Vertauschungen zwischen den Gruppen der Jäger und Gejagten, der kleinen Täter, die heraus wollen aus ihrer Alltagsmisere (Traps, Tschanz), der Verrückten und Weisen, der Heilsverlorenen und Heilsbesessenen.
Dürrenmatts Detektivroman-Personal besteht aus Figuren des alten Mysterienspiels, die, in neuer Maskerade, gleichwohl erkennbar sind: Judas und Pilatus, Hohepriester und Schmerzensmann, Petrus und Lazarus. Tragik und Komik, wie im schauervoll-frommen Drama von gestern miteinander vereint.
Der Berner Theologensohn Dürrenmatt zitiert seine Vorspieler in einem Milieu, das sie zugleich verbirgt und kenntlich macht: Selbstgerechte und Ausgestoßene, Heilssucher und Teufelsknechte in helvetischem Ambiente gut getarnt, aber bei genauerem Zuschauen sehr wohl zu diagnostizieren … so wie auch die theologischen Motive erkennbar sind, mit denen Dürrenmatt spielt, das der Stellvertretung zum Beispiel, der Hinrichtung oder der Rechtfertigung des armen Sünders in finsterer Zeit.
Große Begriffe, die dem Autor als Gedankengerüst bei der Entwicklung von Geschichten dienen, die spannender, konsequenter und – auch dies! – poetischer kaum zu denken sind. Da folgen idyllischen Naturschilderungen und helvetischen Genremalereien aus dem Bilderbuch Pestalozzis (»das Dorf freundlich, mit einem kleinen Bühl samt Kirche, Pfarrhaus und einer uralten, mit mächtigen Eisenringen und Stützen versehenen Eiche«) unvermutet sarkastische Personenschilderungen; da sehen sich homerische Mahlbeschreibungen (in einem – noch zusammenzustellenden – literarischen Kochbuch käme Dürrenmatts Menüs ein Ehrenplatz zu!) und kosmische Evokationen (»Der Himmel war reingefegt, riesig brannten die sinkende Wega, die aufsteigende Capeila, Aldebaran
Weitere Kostenlose Bücher