Der Richter und sein Henker (German Edition)
faßt zusammen: »Sie glauben an nichts als an das Recht, den Menschen zu foltern!« Emmenberger gibt das zu. Das Foltern verschafft ihm das Gefühl, für Augenblicke die Materie zu beherrschen – wie ein sadistischer Gott. Obwohl Bärlach dem Bekenntnis des Arztes nichts entgegenzusetzen hat, ist er – vielleicht eben durch Zufall – anders. Wie der Jude hat er die Phantasie, sich selbst an die Stelle der Gepeinigten versetzen zu können: Er empfindet Mitleid, und die Folge: er wünscht, die Peiniger zu bestrafen. Bärlach ist physisch nicht mehr dazu imstande, aber der Jude – früher ein Gepeinigter, jetzt ein Rächer – führt die Strafe aus. Bärlach kehrt nach Bern zurück. Wozu ? Um sich noch ein Jahr lang vom Krebs auffressen zu lassen.
Dürrenmatts dritter Kriminalroman, Das Versprechen, entstand 1958, im Zusammenhang mit seinem Drehbuch für den Film Es geschah am hellichten Tag, das er im Auftrag des Produzenten Lazar Wechsler für die Praesens-Film geschrieben hatte. Der Hausierer von Gunten findet im Walde die Leiche der Gritli Moser. Tatbestand: Lustmord. Kommissar Matthäi verspricht den Eltern, den Mörder zu stellen. Abgesehen von Matthäi halten alle den Hausierer, der schon vorbestraft ist, für schuldig. Man verhört ihn so lange, bis er verzweifelt und sich erhängt. Nun scheint seine Schuld erwiesen zu sein. Matthäi aber läßt sich nicht bluffen: ähnliche Verbrechen sind vor zwei und fünf Jahren geschehen, alle an der Strecke Zürich-Chur. Der Kommissar schließt auf einen Reisenden, der Autofahrer und ein Psychopath ist. Er stellt ihm eine Falle, indem er sich als Tankwart mit einer Haushälterin und deren – Gritli Moser ähnlichen – Tochter an der Straße Zürich-Chur niederläßt. Im Film ist Matthäi erfolgreich: er stellt den Mörder. Im Roman, dessen Untertitel bezeichnenderweise »Requiem auf den Kriminalroman« lautet, hat der Kommissar kein Glück. Auf dem Wege zu dem Ort, wo er das Kind wieder treffen will und wo er von Matthäi und der Polizei erwartet wird, verunglückt der Mörder. Der Zufall hat eingegriffen und die logischen Pläne des Kommissars durchkreuzt. Dieser verfällt nun der Lächerlichkeit. Hartnäckig wartet er weiter, jahrelang; er beginnt zu trinken und verkommt, und erst viel später gesteht eine Frau im Spital, daß ihr geistig beschränkter Mann die drei Morde auf dem Gewissen hatte und auch den vierten Mord geplant, aber – wegen des Unfalls – nicht mehr ausgeführt hatte.
Dürrenmatts Erzähltechnik im Versprechen ist bedeutend reifer als in den ersten beiden Romanen. Er erzählt durch den Mund von Matthäis ehemaligem Vorgesetzten – und zwar sich selbst, Dürrenmatt. Wenn der Dialog früher Sätze enthielt, die viel zu lang und kompliziert waren, um in Wirklichkeit gesprochen zu werden, nimmt sich Dürrenmatt jetzt in acht und entschuldigt sich dem Leser gegenüber noch, daß er hier und da die Worte des Erzählers etwas abgeändert habe. Der erzählende Kriminalist könnte – seinen Erkenntnissen entsprechend – Bärlach sein. Er weiß, daß sich ein Verbrechen sehr wohl lohnen kann, und er erzählt Matthäis Geschichte, um zu beweisen, was Gastmann schon gewußt hatte: durch Zufall kann ein Verbrechen geschehen, durch Zufall kann es aufgeklärt – oder nicht aufgeklärt – werden. »Der Wirklichkeit ist mit Logik nur zum Teil beizukommen.« Wie im ersten Roman spielen autobiographische und humoristische Elemente eine große Rolle. Dürrenmatt läßt den Erzähler plötzlich zum Dürrenmatt-Kritiker werden, dem »Hand aufs Herz […] Max Frisch näher liegt« und der seinem Zuhörer ohne Umschweife sagt, was für eine Geschichte dieser aus dem Matthäi-Stoff fabrizieren werde (»gerade die Sinnlosigkeit wird Sie reizen«). Die Szene vor dem Mägenwiler Wirtshaus erinnert an den Besuch der alten Dame: Wir können euch den Hausierer nur dann ausliefern, »wenn wir überzeugt sind, daß ihr die Gerechtigkeit wollt«. Die Leute wollen sie zwar; aber es geht ja nicht um Geld, und so überlassen sie schließlich den Hausierer der Polizei. Dürrenmatt scheut sich nicht, immer wieder die gleichen Themen, die gleichen Situationen, die gleichen Punkte aus seiner Weltanschauung einzuführen. Der Erzähler etwa fährt mit demselben Zug von Bern nach Zürich, der 1952 im Tunnel verschwunden war, und das Irrenhaus, in dem Matthäi den Psychiater aufsucht, erinnert an Die Physiker. Einmal mehr wird gesagt, was der Mensch sei:
Die
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