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Der Richter und sein Henker (German Edition)

Der Richter und sein Henker (German Edition)

Titel: Der Richter und sein Henker (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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und die Feuerflamme des Jupiters am Himmel«) durch seitenlange, von Maximen und Reflexionen bestimmte Streitgespräche ergänzt.
    Szene und Bericht, Dramatisches und Episches, Bild und Abstraktion stehen wohlausgewogen, ohne daß eins von beiden dominierte, nebeneinander. Was sich leicht und spannungsreich liest, hat in Wahrheit den Charakter eines artistischen Traktats. Mit Logik und Konsequenz werden Geschichten erzählt, die, gut Dürrenmattisch, dann am Ziel sind, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung erreicht haben: Der Generalvertreter Traps hängt im Hanf, der moribunde Bärlach hat ein letztes Mal sein Mütchen gekühlt, der Fallensteller Matthäi ist in seinen selbst ausgelegten Netzen gefangen.
    So viele Nebenpfade auch ins Blickfeld geraten, so episodenfroh der Autor sein Garn spinnt (wenn irgendwo ein Schriftsteller in die Handlung einzufügen ist, gibt es für Dürrenmatt kein Halten mehr): die Generallinie ist überschaubar und stimmig … wie sehr, das lehrt eine Betrachtung der Panne. Mit welcher Folgerichtigkeit der scheinbar unschuldige Traps Schritt für Schritt zunächst zum Geständnis und dann zum – Identität verbürgenden – Pochen auf die Rechtmäßigkeit seines Tuns gebracht wird!«
»Er erklärte, entrüstet und sich erhebend, einen Teller mit einem neuen Stück Torte in der Rechten, sein Glas Roffignac in der Linken, er möchte, bevor es zum Urteil komme, nur noch einmal auf das bestimmteste beteuern, daß er der Rede des Staatsanwalts zustimme – Tränen traten hier in seine Augen –, es sei ein Mord gewesen, ein bewußter Mord, das sei ihm jetzt klar, die Rede des Verteidigers dagegen habe ihn tief enttäuscht, ja entsetzt, gerade von ihm hätte er Verständnis erhofft, erhoffen dürfen, und so bitte er um das Urteil, mehr noch, um Strafe, nicht aus Kriecherei, sondern aus Begeisterung, denn erst in dieser Nacht sei ihm aufgegangen, was es heiße, ein wahrhaftes Leben zu führen.«
    Wieder schimmert das Vorbild durch: König Öidpus, der als Herrscher ein Blinder war, erkennt im Augenblick der Vernichtung, wer er wirklich ist, und akzeptiert, nunmehr ein Bettler, sein wahrhaftes Leben. Ein hochtragischer Erkenntnisprozeß: von Dürrenmatt, wie’s seine Art ist, ins Burlesk-Paradoxe verkehrt. Der große Ödipus, der kleine Traps. Der Regent von Theben und Alfredo, ein Generalvertreter, der nicht etwa seinen Vater, sondern seinen Chef ermordete – und auch das nur höchst indirekt, auf verbal-vermittelnde Weise.
    »Kreons Sekretäre erledigen heute den Fall Antigone«, hat Dürrenmatt einmal geschrieben – das heißt, auf Kriminalromane bezogen: ein Traps, der gar kein Mörder, sondern nur ein mittelmäßiger kleiner Ehebrüchler, Spießer und Aufschneider ist, zieht sich den Mantel des Königs Ödipus an. Die Tragödie wiederholt sich als Farce – und verliert gleichwohl nicht ihre Schrecken, da, von Dürrenmatt immer wieder blitzartig einbezogen, Auschwitz und Maidanek auch dann ihre Schatten werfen, wenn von Banalitäten gehandelt wird, dem Aufbau von Fallen, die zuschnappen können (Der Richter und sein Henker) oder auch nicht (Das Versprechen), dem im Bürgermilieu entworfenen Plan, einen Gegner zur Strecke zu bringen, und der Exekution dieses Planes durch eine Reihe von Verhören.
    Verhöre als Zentrum der Geschichten: Sobald es ans Aushorchen, Überlisten, argumentenreiche Bluffen und Erledigen geht, um Befragungen, in deren Verlauf der Befragte zum Abfrager wird, um Zweikämpfe und dialektische Exerzitien, tritt der Erzähler Dürrenmatt zurück, und der Dramatiker schaltet sich ein: »Jetzt komme ich.« Bärlach contra Gastmann und Tschanz; die Altherrenrunde contra Traps, Polizist Henzi gegen Hausierer von Gunten; Patient Bärlach gegen Arzt Emmenberger – man muß sie mehrfach lesen, die Dialoge, um zu erkennen, mit welchem Raffinement hier Jurisprudenz (und Theologie, die immer dabei ist, bei allen Prozessen und in allen Fällen: so, wenn das Volk die Verurteilung von Guntens verlangt wie weiland die Hinrichtung Jesu) die bannende Kraft von Poesie gewinnt.
    In allen vier Prosastücken wird Gerichtstag gehalten, geht es, in trügerisch-bescheidenem Milieu, um Schuld und Sühne, um die kleine Exekution und die jederzeit mögliche Endlösung, um Verhöre »in Sachen Mensch«.
    Jedermann, ein Kriminalstück in vier Teilen, geschrieben von Friedrich Dürrenmatt nach dem Ende des Faschismus in Europa. Eine auf den ersten Blick reißerisch-unterhaltliche, auf den zweiten

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