Der Richter und sein Henker (German Edition)
akademisch-feinsinnig redenden Vorgesetzten, die Wissenschaftler und Computer-Kenner aufs Glatteis zu führen.
Dürrenmatts Detektive, diese zwielichtigen Helden im Verbrechermilieu, sind janusgesichtige Leute und keine eindimensionalen, meist nur von einem einzigen Charakterzug (Geiz, Kombinationskunst, Freßlust) bestimmten Figuren. Sie alle, einerlei, ob sie nun Matthäi, Bärlach, Zorn oder Kummer heißen, fungieren als Zwitterwesen: einfältig und weltläufig, zielstrebig und korrupt, dem Tod verfallen und dem guten Essen auch.
Eine verwegene Gesellschaft von Krebskranken, Verrückten, alten Katern auf der Mäusejagd, von Lebensbesessenen und Todgezeichneten – von Menschen, auf jeden Fall, die (allesamt nicht mehr jung, in der Panne sogar hochbetagt) ihre Grenzen sehr genau kennen: ihre eigenen so gut wie die Grenzen ihres Geschäfts.
Von Gerechtigkeitspathos und hochfahrenden Idealen (Motto: Jeder Polizist ist ein Dienstmann Gottes) ist wenig die Rede; man hilft, so gut es geht, im Einzelfall und weiß dabei, wie der Jude Gulliver im Verdacht, daß der Kosmos durch die Überführung des Mörders in toto um keinen Deut besser wird: »Wir können als einzelne die Welt nicht retten«, so Gulliver, eine mythische Riesenfigur, »das wäre eine ebenso hoffnungslose Arbeit wie die des armen Sisyphos … Wir können nur im einzelnen helfen, nicht im gesamten … So wollen wir die Welt nicht zu retten suchen, sondern zu bestehen, das einzige wahrhafte Abenteuer, das uns in dieser späten Zeit noch bleibt.«
Dürrenmatts Kriminalisten (zu denen, in der Panne, auch Richter, Verteidiger, Staatsanwalt und Henker gehören), gebrechlich, angeschlagen, versucht und gezeichnet, haben ein zweifaches Ziel: vor sich selbst zu bestehen (wenn Matthäi, im Versprechen, den Eltern des ermordeten Mädchens »bei seiner Seligkeit« versprechen muß, den Täter dingfest zu machen, dann hält er sich bis zur Selbstaufgabe, zum Wahnsinn, zur Auslöschung seiner Person an dieses Versprechen) und, dies ist das zweite, mit Hilfe der Phantasie die kleine, scheinbar berechenbare Wirklichkeit zu verlassen und das Reich der Möglichkeit mit all ihren Zufällen, Widersprüchen und Paradoxen zu durchdringen.
So aus gestattet – aber auch so aus gesetzt –, souverän und verwundbar, kämpfen die Bärlach und Matthäi ihren Kampf auf Leben und Tod, den Kampf gegen das Böse und den Unverstand, gegen den großen Gegenspieler (Gastmann, Emmenberger) und die Torheit der Welt, die, immer auf der falschen Fährte, am Ende noch anbetet, was sie vernichtet. (Dies wird von Dürrenmatt am Beispiel der sich dem Teufel Emmenberger ausliefernden Patienten belegt: lieber die Operation bei lebendigem Leib als ein Verzicht auf die blind machende Hoffnung.)
Ein Kampf auf Leben und Tod, jawohl. Ein Kampf zwischen Faust (der bekanntlich Hans heißt, wie Bärlach) und Mephisto. Eine Entscheidungsschlacht, die sich aus der Wette zwischen dem Guten, das dabei seine Unschuld verliert, und jenem Bösen ergibt, das, provoziert durch das »Was gilt’s?«, zur letzten Konsequenz gezwungen wird – zum Aufstand gegen Gott.
Aber das alles wird von Dürrenmatt nicht im metaphysischen Traktat abgehandelt, sondern, in Alltäglichkeit und Normalität angesiedelt, als Burleske erzählt und als rabenschwarzes Schauerstück zum besten gegeben. Nicht unter den Sternen, sondern beim Rauschen der Aare, bei dampfenden Misthaufen und in sauber gefegten helvetischen Straßen, in Villen und Spitälern, verrotteten Kneipen und möblierten Zimmern: im Unscheinbarsten also werden die verwegensten Schlachten geschlagen. Je harmloser, ja, gelegentlich, »einladender« das Ambiente, desto dramatischer die Situation und desto größer die Gefahr für den Betroffenen. Nachzulesen in Friedrich Dürrenmatts Meistererzählung Die Panne: Die ausgelassene Stimmung, Weinseligkeit und Duzfreundschaft zwischen Kläger und Angeklagtem zeigen an, daß es um Kopf und Kragen geht. Wenn die pensionierten Herren aus dem Bereich der Justiz und der Handelsvertreter, der noch nie vor Gericht stand, einander unterhaken, berauscht vom Château Margaux, dann weiß der Leser: Warte nur, balde … (»›Mein Gott‹, schöpfte Traps Atem, ›war dies ein Jux darinnen‹, und wies nach den erleuchteten Fenstern, in denen eben die massige Silhouette der Haushälterin sichtbar wurde. ›Vergnüglich geht’s zu, vergnüglich‹« – eine bürgerlich-fidele Genreszene, wenige Stunden vor dem Selbstmord des
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