Der Richter
führte jede Woche neue Untersuchungen durch.
Außerdem hatte Patton French Clark Pharmaceuticals vor einem Geschworenengericht in New Orleans auf acht Millionen Dollar verklagt, und er hatte gewonnen. Diesmal ging es um Kobril, ein Antidepressivum, das im Verdacht stand, zu Gehörverlust zu führen. Für die erste Serie von vier-zehnhundert Kobril-Fällen hatte man sich auf Schadenersatz in Höhe von zweiundfünfzig Millionen Dollar geeinigt.
Die anderen Angehörigen der Kanzlei wurden kaum erwähnt. Es handelte sich eindeutig um eine Ein-Mann-Show, bei der die Untergebenen in Hinterzimmern mit Tausenden von Mandanten rangen, die praktisch auf der Straße aufgelesen wurden. Eine ganze Seite der Homepage zeigte, wo Mr. French demnächst als Redner auftreten würde, eine weitere enthielt seine zahlreichen Termine bei Gericht, und zwei Seiten waren den Zeitplä-
nen für die medizinischen Untersuchungen und Tests gewidmet. Nicht weniger als acht Medikamente standen auf der Liste - unter anderem auch Skinny Ben, die Schlankheitspille, von der Forrest gesprochen hatte.
Um ihren Mandanten noch mehr Service zu bieten, hatte die Kanzlei ei-ne Gulfstream IV erworben. Ein großes Farbfoto zeigte das Flugzeug auf einem Rollfeld. Selbstverständlich stand Patton French im dunklen Desig-neranzug neben der Nase der Maschine, bereit, sofort an Bord zu gehen und irgendwo für die Gerechtigkeit zu kämpfen. Ray wusste, dass ein solches Flugzeug etwa dreißig Millionen Dollar kostete. Dazu kamen die beiden Vollzeit-Piloten und Wartungskosten, die der Schrecken jedes Buchhalters sein mussten.
Patton French war ein schamloser Egomane.
Die Maschine gab Ray endgültig den Rest; er verließ die Bibliothek. Am Audi lehnend, wählte er die Nummer von French & French und arbeitete sich durch das telefonische Auswahlmenü hindurch: Mandant, Anwalt, Richter, an deres, Information zu medizinischen Untersuchungen, Rechts-anwaltsgehilfe, die ersten vier Buchstaben des Familiennamens Ihres Anwalts. Er wurde von drei eifrigen Sekretärinnen von Mr. French weiterge-reicht, bis er schließlich bei der Dame landete, die für den Terminkalender zuständig war.
»Ich würde Mr. French wirklich gern treffen«, sagte er erschöpft.
»Er ist nicht in der Stadt«, lautete die erstaunlich höfliche Antwort.
Selbstverständlich war er nicht in der Stadt. »Hören Sie«, knurrte Ray grob. »Ich sage das nur einmal. Mein Name ist Ray Atlee, mein Vater war Richter Reuben Atlee. Ich bin in Biloxi und möchte Patton French sehen.«
Er gab ihr seine Handynummer und fuhr zum Acropolis, einem billigen Kasino nach Las-Vegas-Art, das sich in Architektur und Dekors am altgrie-chischen Stil orientiert hatte. Die Ausführung war lausig, aber wen interessierte das schon. Der volle Parkplatz wurde bewacht. Ob die Sicherheitsleute auch aufpassten, war nicht ganz klar. Dafür fand Ray in der Kasinobar einen Platz, von dem aus er sein Auto im Blick hatte. Er nippte gerade an einem Mineralwasser, als sein Handy klingelte.
»Mr. Ray Atlee?«, sagte eine Stimme.
»Ja.« Ray drückte das Telefon fester ans Ohr.
»Hier spricht Patton French. Schön, dass Sie angerufen haben. Tut mir Leid, dass ich nicht da war.«
»Sie sind bestimmt ein viel beschäftigter Mann.«
»Das kann man wohl sagen. Sie sind an der Küste? «
»Im Moment sitze ich im Acropolls. Sehr interessantes Etablissement.«
»Ich bin gerade auf dem Rückweg. Ich war in Naples, ein Kläger hatte ein Beratungsgespräch mit ein paar wichtigen Anwälten aus Florlida.«
War ja nicht anders zu erwarten, dachte Ray.
»Das mit Ihrem Vater tut mir Leid«, sagte French. In der Leitung rauschte es. Vermutlich raste er gerade in dreizehntausend Metern Höhe der Heimat entgegen.
»Danke.«
»Ich war bei der Beerdigung und habe Sie dort gesehen. Leider hatte ich keine Gelegenheit, mit Ihnen zu sprechen. Der Richter war ein wunderbarer Mensch.«
»Danke«, wiederholte Ray.
»Wie geht es Forrest?«
»Woher kennen Sie Forrest?«
»Ich weiß fast alles, Ray. Meine Prozesse werden bis ins kleinste Detail vorbereitet. Wir sammeln die Informationen lastwagenweise. Deswegen gewinnen wir auch. Ist er im Moment clean?«
»Soviel ich weiß, ja.« Ray fand es irritierend, über ein so persönliches Thema derart beiläufig zu sprechen, als ginge es ums Wetter. Aber er wusste ja von der Website, dass Patton French keinerlei Feingefühl besaß.
»Gut. Hören Sie, ich komme morgen zurück. Ich bin auf meiner Jacht, da
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