Der Richter
für einen Politiker. Ein Strafzettel konnte es auch nicht sein, weil das Parken beim Acropolis kostenlos war.
Es war ein Umschlag mit Inhalt.
Ganz langsam stieg Ray aus dem Auto und sah sich um; vielleicht entdeckte er ja jemanden. Dann hob er den Scheibenwischer an, nahm den Umschlag und untersuchte ihn so sorgfältig, als handelte es sich um ein wichtiges Beweisstück in einem Mordprozess. Anschließend stieg er wieder ins Auto, weil er vermutete, dass er beobachtet wurde.
In dem Kuvert steckte erneut ein dreifach gefaltetes Blatt, wiederum ein ausgedrucktes digitales Farbfoto. Diesmal zeigte es Abteil 37 F von Chaney’s Self-Storage in Charlottesville, Virginia, gut fünfzehnhundert Kilometer und mit dem Auto mindestens achtzehn Stunden entfernt.
Dieselbe Kamera, derselbe Drucker und mit Sicherheit auch derselbe Fotograf, der bestimmt wusste, dass 37 F nicht das letzte Versteck war, das Ray benutzt hatte.
Obwohl er sich benommen fühlte, fuhr er eilig los. Während er über den Highway 90 raste, behielt er die Fahrzeuge hinter sich im Auge.
Dann scherte er plötzlich nach links aus und bog in eine Straße ein, der er gut einen Kilometer weit nach Norden folgte, wo er abrupt auf den Parkplatz eines Waschsalons fuhr. Niemand folgte ihm. Eine Stunde lang beobachtete er jedes einzelne vorbeikommende Auto, ohne etwas Verdächtiges zu entdecken. Zu seiner Beruhigung hatte er auf dem Sitz neben sich griffbereit den Revolver liegen. Noch beruhigender war allerdings das Gefühl, dass sich das Geld nur wenige Zentimeter von ihm entfernt befand. Er hatte alles, was er brauchte.
Der Anruf der Sekretärin, die für Mr. Frenchs Terminkalender zuständig war, kam um Viertel nach elf. Wichtige Angelegenheiten machten ein Mittagessen mit Mr. French unmöglich, aber über ein frühes Abendessen würde er sich sehr freuen. Sie fragte, ob sich Ray gegen sechzehn Uhr im Büro des großen Mannes einfinden könnte, wo der Abend seinen Anfang nehmen würde.
Bei dem Büro, das sich auf der Website von seiner besten Seite prä-
sentierte, handelte es sich um ein Herrenhaus im georgianischen Stil mit Blick auf den Golf. Das lang gestreckte Grundstück wurde von Eichen mit langen Bärten aus Spanischem Moos beschattet. Die aus derselben Epoche stammenden Nachbarhäuser waren im gleichen Stil gehalten.
Der hintere Teil war vor kurzem zu einem Parkplatz mit hohen Zie-gelmauern und Sicherheitskameras umgebaut worden, die ständig das gesamte Gelände überwachten. Ein Wachmann, der wie ein Beamter des Secret Service gekleidet war, öffnete für Ray das Metalltor und schloss es hinter ihm sofort wieder. Nachdem Ray auf einem reservierten Platz geparkt hatte, eskortierte ihn ein weiterer Wachmann zum Hinterein-gang des Gebäudes, wo ein Arbeitertrupp Platten verlegte, während eine zweite Gruppe Sträucher pflanzte. Offenbar wurden Büro und Grundstück in aller Eile gründlich überholt.
»In drei Tagen kommt der Gouverneur zu Besuch«, flüsterte der Wachmann.
»Großartig«, meinte Ray.
Frenchs persönliches Büro befand sich im zweiten Stock. Er selbst allerdings hielt sich immer noch auf der Jacht draußen im Golf auf, wie eine attraktive junge Brünette in einem hautengen, teuren Kleid Ray mitteilte. Trotzdem führte sie ihn in das Büro und bat ihn, auf der Sitz-gruppe am Fenster Platz zu nehmen und zu warten. Der Raum war mit heller Eiche vertäfelt und enthielt so viele schwere Ledersofas, Sessel und Ottomanen, dass man damit ein ganzes Jagdschlösschen hätte möb-lieren können. Der Schreibtisch war so groß wie ein Swimmingpool und mit maßstabgetreuen Modellen großer Jachten bedeckt.
»Er liebt Schiffe, was?«, fragte Ray, während er sich im Raum um-sah. Offenbar sollte er beeindruckt werden.
»Ja, allerdings.« Mit einer Fernbedienung öffnete die Angestellte einen Schrank, und ein großer Flachbildschirrn glitt heraus. »Im Moment ist er in einer Besprechung, aber er wird sich gleich melden. Hätten Sie gern etwas zu trinken?«
»Ja, bitte. Schwarzen Kaffee.«
In der rechten oberen Ecke des Bildschirms befand sich eine winzige Kamera. Ray vermutete, dass er gleich mit Mr. French über Satellit plaudern würde. Seine Verärgerung darüber, dass man ihn warten ließ, wuchs zunehmend. Unter normalen Umständen hätte er inzwischen schon vor Wut gekocht, aber ihn faszinierte die Show, die um ihn herum inszeniert wurde.
Auch er hatte seine Rolle darin. Entspann dich und genieß das Theater, riet er sich selbst.
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