Der Richter
Produkt auf den Markt geworfen hatte, setzte der Richter einen Strafschadenersatz in Höhe von zehn Millionen Dollar fest. In der Urteilsbegründung wurden Mixer-Bracks unternehmerische Rücksichtslosigkeit und Gier auf das Schärfste missbilligt, und es war offensichtlich, dass Richter Atlee die Geschäftspraktiken des Pharmariesen wirklich höchst beunruhigend fand.
Ray hatte nicht gewusst, dass der Richter jemals einen Strafschadenersatz festgelegt hatte.
Nach dem Prozess wurden natürlich die üblichen Anträge gestellt, die der Richter mit barsch klingenden Begründungen ablehnte. Miyer-Brack wollte, dass der Strafschadenersatz zurückgenommen wurde. Patton French wollte, dass der Strafschadenersatz erhöht wurde. Beiden Seiten ging eine schriftliche Standpauke zu.
Merkwürdig war jedoch, dass es nicht zu einer Berufung gekommen war.
Ray suchte längere Zeit danach. Er blätterte zweimal durch die Unterlagen aus der Zeit nach dem Prozess, dann wühlte er sich erneut durch die Schublade des Aktenschranks. Womöglich hatte es nach dem Ende des Prozesses eine weitere Entscheidung gegeben. Er nahm sich vor, die Angestellte im Büro danach zu fragen.
Bezüglich der Honorarfrage kam es zu einer hässlichen Auseinandersetzung. Patton French hatte einen Vertrag mit der Gibson-Familie, der ihm fünfzig Prozent des zugesprochenen Schadenersatzes garantierte. Wie immer war der Richter der Meinung, dass ein solches Honorar unangemessen hoch sei. Wenn ein Fall vor einem Chancery Court verhandelt wurde, lag das Honorar des Anwalts im Ermessen des Richters, und für Richter Atlee waren dreiunddreißig Prozent immer die Höchstgrenze gewesen. Was das für den Fall bedeutete, konnte sich jeder selbst ausrechnen, und Mr. French kämpfte erbittert um sein wohlverdientes Geld. Doch der Richter blieb hart.
Im Fall Gibson war Richter Atlee in Höchstform gewesen, und Ray war stolz und traurig zugleich. Er konnte kaum glauben, dass die Verhandlung erst vor eineinhalb Jahren stattgefunden hatte, zu einem Zeitpunkt, als sein Vater schon an Diabetes, Herzschwäche und vermutlich Krebs gelitten hatte, obwohl der Tumor erst sechs Monate später entdeckt worden war.
Er bewunderte die Kämpfernatur seines alten Herrn.
Bis auf eine Frau, die an ihrem Schreibtisch eine Melone aß und auf den Computermonitor starrte, waren alle Mitarbeiter zum Essen gegangen. Ray verließ das Büro und machte sich auf den Weg zu einer Bibliothek.
29
Von einem Fastfood-Lokal in Biloxi aus hörte Ray seinen Anrufbeantworter in Charlottesville ab. Drei Nachrichten waren darauf. Kaley wollte nun doch mit ihm essen gehen und wurde umgehend und endgültig gelöscht. Fog Newton ließ ihn wissen, dass die Bonanza für nächste Woche gebucht sei, und meinte, sie müssten unbedingt fliegen gehen.
Martin Gage von der Steuerbehörde in Atlanta wartete auf das Fax mit dem nicht vorhandenen Brief. Er konnte lange warten.
An einem orangefarbenen Kunststofftisch mit Blick auf den Strand aß Ray einen Fertigsalat. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er das letzte Mal allein in einem Fastfood-Lokal gesessen hatte. Auch jetzt tat er es nur, weil er beim Essen sein Auto im Auge behalten konnte. Au-
ßerdem wimmelte das Lokal nur so von jungen Müttern mit Kleinkindern, einer Bevölkerungsgruppe, die sich im Allgemeinen nicht durch einen Hang zur Kriminalität auszeichnete. Schließlich ließ Ray den Salat Salat sein und rief Fog an.
Die städtische Bücherei von Biloxi befand sich in der Lameuse Street.
Mithilfe des Stadtplans, den er in einem kleinen Gemischtwarenladen erstanden hatte, gelangte Ray dorthin. Er parkte nahe beim Haupteingang und blieb, wie er es sich in letzter Zeit angewöhnt hatte, kurz stehen, um den TT und dessen Umgebung zu beobachten, bevor er das Gebäude betrat.
Die Computer befanden sich im ersten Stock in einem Raum, der völlig mit Glas verkleidet war, zu Rays Enttäuschung aber keine Fenster nach draußen besaß. Die führende Zeitung an der Küste war der Sun Herald, dessen Archiv Nutzern der Bibliothek eine Suchfunktion für die Ausgaben ab 1994 anbot. Ray ging zum 24. Januar 1994, dem Tag nachdem Richter Atlee das Urteil in dem Prozess gesprochen hatte. Es war keine Überraschung, dass sich ein Artikel auf der ersten Seite des Lokaltells mit dem 11,1-Millionen-Dollar-Urteil in Bay St. Louis befasste. Noch weniger überraschend war, dass Mr. Patton French einiges zu sagen gehabt hatte. Richter Atlee dagegen hatte jeden Kommentar
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