Der Richter
näher heran. Ray hatte den Schnitt an seiner Hand bereits vergessen, und ihm war nicht bewusst, dass er sich auch am Knie verletzt hatte. Elmer holte eine Taschenlampe hervor und ließ sie aus drei Metern Entfernung über Ray wandern. »Warum bluten Sie? «
Das war eine gute Frage. Während ihm der Beamte mitten auf dem dunklen Highway mit der Taschenlampe ins Gesicht leuchtete, fiel ihm keine angemessene Antwort darauf ein. Die Wahrheit zu erzählen würde eine Stunde dauern, und glauben würde ihm der Polizist ohnehin nicht.
Eine Lüge dagegen würde das Ganze nur noch schlimmer machen. Ach weiß es nicht«, murmelte er schließlich.
»Was ist in dem Wagen?«
»Nichts.«
»Na klar.«
Elmer legte Ray Handschellen an und packte ihn auf den Rücksitz des Ford-County-Streifenwagens, eines braunen Impala, dessen Stoßfänger staubbedeckt waren. Die Radkappen fehlten, und hinten am Wagen war eine ganze Kollektion von Antennen montiert. Ray beobachtete, wie der Polizist um den TT herumging und hineinsah. Dann kam er zurück, stieg in den Streifenwagen und fragte ohne sich umzudrehen: »Wozu brauchen Sie die Waffe?«
Ray hatte versucht, den Revolver unter den Beifahrersitz zu schieben, doch offenbar war er von außen zu sehen.
»Für meinen Schutz.«
»Haben Sie einen Waffenschein?«
»Nein.«
Elmer rief die Einsatzzentrale an und erstattete ausführlich Bericht über seinen Fang. Er schloss mit den Worten: »Ich bringe ihn rein«, als hätte er einen der zehn meistgesuchten Verbrecher aller Zeiten gefasst.
»Was ist mit meinem Wagen?«, fragte Ray, als sie wendeten.
»Ich schicke einen Abschleppwagen.«
Elmer schaltete das Blaulicht ein und trieb den Tacho bis auf hundertdreißig.
»Kann ich meinen Anwalt anrufen?«
»Nein.«
»Kommen Sie, es war doch nur ein Verkehrsvergehen. Mein Anwalt kann mich im Gefängnis treffen, die Kaution hinterlegen, und in einer Stunde bin ich wieder draußen. «
»Wer ist Ihr Anwalt?«
»Harry Rex Vonner.«
Elmer grunzte, und die Adern an seinem Hals schwollen an. »Der Mistkerl hat mir bei meiner Scheidung das letzte Hemd ausgezogen.«
Als Ray das hörte, lehnte er sich zurück und schloss die Augen.
Während Elmer ihn den Gehweg hinaufführte, erinnerte sich Ray daran, dass er bereits zweimal im Gefängnis von Ford County gewesen war. Beide Male hatte er arbeitsscheuen Vätern, die jahrelang keinen Unterhalt für ihre Kinder gezahlt hatten und deswegen vom Richter eingesperrt worden waren, Dokumente gebracht. Haney Moak, der geistig etwas zurückgebliebene Gefängniswärter, saß immer noch in einer zu groß geratenen Uniform hinter der Theke und las Detektivromane. Da er auch als Einsatzzentrale für die Nachtschicht fungierte, wusste er bereits von Rays Gesetzesübertretung.
»Richter Atlees Junge, ja?«, begrüßte er ihn mit einem schiefen Grinsen.
Sein Kopf saß ebenfalls ein wenig schief auf dem Hals, und die Augen standen nicht auf gleicher Höhe, so dass es nicht einfach war, bei einer Unterhaltung mit ihm Blickkontakt zu halten.
»Ja, Sir.« Ray war für jede freundliche Seele dankbar.
»Ein guter Mann«, meinte Haney, während er hinter Ray trat und die Handschellen aufschloss.
Ray rieb sich die Handgelenke und blickte auf Hilfssheriff Conway, der mit geschäftiger Miene Formulare ausfüllte. »Gefährdung des Straßenverkehrs und kein Waffenschein.«
»Du sperrst ihn doch wohl nicht ein, oder?« Haney ging mit Elmer so grob um, als wäre es sein Fall und nicht der des Hilfssheriffs.
»Klar tue ich das.« Die Spannung war geradezu fühlbar.
»Kann ich Harry Rex Vonner anrufen?«, bat Ray.
Haney wies mit dem Kopf auf ein Telefon an der Wand. Dabei funkelte er Elmer herausfordernd an. Offenbar hatten die beiden einige Hühnchen miteinander zu rupfen. »Mein Gefängnis ist voll«, verkündete Haney.
»Das sagst du immer.«
Ray wählte hastig die Nummer von Harry Rex. Es war nach drei Uhr morgens, und sein Anruf kam bestimmt nicht sehr gelegen. Die gegenwärtige Mrs. Vonner meldete sich nach dem dritten Klingeln. Ray entschuldigte sich und fragte nach Harry Rex.
»Er ist nicht hier.«
Aber er ist in der Stadt, dachte Ray. Vor sechs Stunden hat er doch noch auf meiner Veranda gesessen. »Darf ich fragen, wo er ist?«
Hinter ihm schrien Haney und Elmer aufeinander ein.
»Bei den Atlees«, sagte sie langsam.
»Da ist er schon vor Stunden weggefahren. Ich war dort.«
»Nein, nein, jemand hat gerade angerufen. Das Haus brennt. «
Mit Haney auf dem
Weitere Kostenlose Bücher