Der Richter
das wird bestimmt lustig.«
Mr. Magargel und sein Helfer rollten den schönen, mit purpurfarbenem Samt drapierten Eichensarg durch den Ostflügel des Gerichtsgebäudes.
Hinter dem Sarg schritten Ray und Forrest, gefolgt von einer Fahnenwache der Pfadfinder, die Flaggen trugen und scharf gebügelte Kaki-Uniformen anhatten.
Weil der Richter für sein Land gekämpft hatte, war sein Sarg auch mit der amerikanischen Flagge geschmückt. Deshalb nahm ein Kontingent aus der Gegend stammender Reservisten sofort Haltung an, als der Sarg von Captain Atlee a. D. schließlich in der Mitte der Rotunde des Gerichtsgebäudes stand.
Sämtliche Rechtsanwälte der County waren anwesend. Harry Rex hatte vorgeschlagen, ihnen einen speziellen, durch ein Seil abgetrennten Bereich in der Nähe des Sargs zuzuweisen. Alle Offiziellen von Stadt und County waren gekommen, außerdem die Angestellten des Gerichts, die Polizisten und die Abgeordneten der Gegend. Als Harry Rex vortrat, um die Zeremonie zu eröffnen, drängte die Menge nach vorn. Über ihnen, im ersten und zweiten Stock des Gerichtsgebäudes, beugten sich weitere Menschen über die Geländer.
Ray trug einen nagelneuen marineblauen Anzug, den er ein paar Stunden zuvor bei Pope’s gekauft hatte, dem einzigen Herrenausstatter in Clanton.
Mit einem Preis von dreihundertzehn Dollar war es der teuerste Anzug in dem Geschäft gewesen. Von dem saftigen Betrag waren zehn Prozent Rabatt abgegangen, auf dem Mr. Pope bestanden hatte. Forrests dunkelgrauer Anzug, den ebenfalls Ray bezahlt hatte, war vor dem Preisnachlass mit zweihundertachtzig Dollar ausgezeichnet gewesen. Schon seit zwanzig Jahren hatte Forrest keinen Anzug mehr getragen, und er hatte geschworen, dass sich daran auch anlässlich der Beerdigung nichts ändern würde. Nur einer Standpauke von Harry Rex war es zu verdanken, dass er seine Meinung geändert hatte.
An einem Ende des Sargs standen die Söhne des Richters, am anderen Ende Harry Rex. Etwa in der Mitte stellte Billy Boone, der scheinbar alterslose Pförtner des Gerichts, behutsam ein Porträt des verstorbenen Richters auf. Das Bild war vor zehn Jahren kostenlos von einem ortsansässigen Künstler gemalt worden. Alle wussten, dass es dem Richter zu Lebzeiten nicht besonders gefallen hatte. Damit niemand es zu Gesicht bekam, hatte er es in seinen Amtszimmern hinter dem Gerichtssaal an der Rückseite einer Tür aufgehängt. Nach seiner Abwahl war es hoch über dem Richterstuhl im Verhandlungssaal angebracht worden.
Auf dem gedruckten Programm der Trauerzeremonie stand »Abschieds-gruß für Richter Atlee«. Ray studierte sein Exemplar eingehend, weil er sich nicht umblicken wollte. Alle Augen waren auf ihn und Forrest gerichtet. Reverend Palmer trug ein pathetisches Gebet vor. Weil es am nächsten Tag ja noch die Beerdigung gab, hatte Ray auf einer kurzen Zeremonie bestanden.
Nun traten die Pfadfinder mit der amerikanischen Flagge vor und sprachen den feierlichen Fahneneid. Dann sang Schwester Oleda Shumpert von der Holy Ghost Church of God in Christ eine schwermütige A-Cappella-Version von »Shall we Gather at the River«. Der Text und die Melodie des Lieds ließen vielen Tränen in die Augen treten, selbst Forrest, der mit ge-senktem Kopf dicht neben Ray stand.
Während Ray in der hohen Rotunde dem Nachhall der vollen Stimme der Sängerin lauschte, spürte er zum ersten Mal, wie schwer der Tod seines Vaters für ihn wog. Er dachte an all die Dinge, die sie als Erwachsene zusammen hätten unternehmen können, all die Dinge, die sie nicht unternommen hatten, als Forrest und er Kinder gewesen waren. Aber er hatte sein Leben gelebt und der Richter seines, und beide hatten daran nichts auszusetzen gehabt.
Es war Unsinn, die Vergangenheit wieder aufzurollen, nur weil der alte Mann nicht mehr unter den Lebenden weilte, sagte er sich immer wieder.
Angesichts des Todes war es natürlich, dass er sich wünschte, er hätte mehr mit seinem Vater unternommen. Aber Tatsache war, dass der Richter Ray jahrelang gegrollt hatte, weil dieser aus Clanton weggegangen war. Leider war er dann nach seinem Abschied aus dem Beruf zum Einsiedler geworden.
Als der Augenblick der Schwäche vorbei war, straffte Ray sich. Er wür-de sich nicht selbst geißeln, weil er sich für einen Lebensweg entschieden hatte, der nicht dem Ideal seines Vaters entsprochen hatte.
Jetzt begann Harry Rex mit seiner Ansprache, einer, wie er versprochen hatte, »kurzen Gedenkrede«. »Heute haben wir uns
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