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Der Richter

Der Richter

Titel: Der Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Nachbarn waren die alten Jungfern nebenan, doch die konnten nicht einmal mehr das Bild auf dem Fernseher in ihrer eigenen Bude erkennen. Zwischen Tür und Auto hin und her eilend, verstaute er das Vermögen im Kofferraum. Er manöv-rierte die Müllsäcke herum, und obwohl es so aussah, als würde sich der Deckel des Kofferraums nicht mehr schließen lassen, knallte er ihn zu. Es klickte, der Kofferraum war geschlossen. Ray Atlee war erleichtert. Noch wusste er nicht, wie er das Geld in Virginia vom Parkplatz durch die gut besuchte Fußgängerzone zu seiner Wohnung bringen sollte, doch darüber konnte er sich später Gedanken machen.

    Zum Deep Rock Motel gehörte ein heißer, enger, schmutziger Diner, den Ray nicht kannte, aber es war genau der Ort, wo man am Morgen nach dem Tod von Richter Atlee in Ruhe frühstücken konnte. In den drei Coffeeshops am Clanton Square wurden vermutlich gerade Geschichten und Tratsch über den großen Mann erzählt, und darauf hatte Ray überhaupt keine Lust.
    Forrest machte einen ganz anständigen Eindruck; Ray hatte ihn schon in schlechterer Verfassung erlebt. Er trug dieselbe Kleidung wie gestern und hatte auch nicht geduscht, doch das war bei Forrest nichts Ungewöhnliches.
    Seine Augen waren zwar gerötet, aber nicht verquollen. Er behauptete, er habe gut geschlafen, müsse aber dringend etwas zu beißen kriegen. Beide bestellten Rührei mit Speck.
    »Du siehst müde aus«, sagte Forrest, der schwarzen Kaffee trank.
    Tatsächlich fühlte sich Ray erschöpft. »Mir geht’s gut. Zwei Stunden Pause, dann bin ich zu allem bereit.« Durch das Fenster warf er einen Blick auf seinen Audi, den er so dicht wie möglich vor dem Diner geparkt hatte.
    Falls nötig, würde er in der verdammten Karre sogar übernachten.
    »Es ist seltsam«, sagte Forrest. »Wenn ich trocken bin, schlafe ich wie ein Baby. Acht, neun Stunden Tiefschlaf pro Nacht. Bin ich nicht trocken, kriege ich mit Glück fünf Stunden, und von Tiefschlaf kann keine Rede sein.«
    »Nur so aus Neugier: Denkst du an die nächsten Drinks, wenn du trocken bist?«
    »Immer. Der Druck baut sich auf, es ist wie beim Sex. Man kann eine Weile ohne, aber der Druck wächst immer mehr, und früher oder später braucht man Erleichterung. Schnaps, Sex, Drogen - irgendwann holt es mich wieder ein.«
    »Du warst hunderteinundvierzig Tage trocken.«

    »Sogar einen Tag mehr.«
    »Wo steht dein Rekord?«
    »Bei vierzehn Monaten. Vor ein paar Jahren kam ich aus einer Entziehungskur in dieser Riesenanstalt, die der alte Herr bezahlt hat. Für lange Zeit habe ich es gelassen, aber dann hatte ich einen Rückfall.«
    »Aber warum?«
    »Es ist immer dasselbe. Als Süchtiger kann man jederzeit und überall aus jedem beliebigen Grund einen Rückfall haben. Bisher ist noch nichts erfunden worden, was mich dann aufhalten könnte. Ich bin ab-hängig, Bruderherz. So einfach ist das.«
    »Bist du noch auf Drogen?«
    »Klar. Letzte Nacht waren es Whiskey und Bier. Heute wird’s genauso sein, morgen auch. Am Ende der Woche ist dann härterer Stoff dran.«
    »Willst du es so? «
    »Nein. Aber ich weiß, dass es passieren wird.«
    Die Kellnerin brachte ihr Essen. Forrest bestrich rasch ein Brötchen mit Butter und biss hinein. »Unser alter Herr ist tot, Ray«, sagte er dann.
    »Kannst du das wirklich glauben?«
    Ray kam der Themenwechsel sehr gelegen. Wenn sie weiterhin über Forrests Probleme diskutierten, würde das bald zu einer Auseinandersetzung führen. »Nein. Ich habe zwar geglaubt, darauf vorbereitet zu sein, aber ich war es nicht.«
    »Wann hast du ihn zum letzten Mal gesehen?«
    »Im November, als er die Prostata-Operation hatte. Und du?«
    Während er über die Frage nachdachte, würzte Forrest sein Rührei mit Tabascosauce. »Wann war das noch mit dem Herzinfarkt?«
    Der Richter hatte so viele Leiden gehabt und war so häufig operiert worden, dass es nicht einfach war, sich zu erinnern.
    »Er hatte drei Infarkte.«
    »Ich meine den in Memphis.«
    »Das war der zweite«, antwortete Ray. »Ist mittlerweile vier Jahre her.«
    »Das kommt ungefähr hin. Ich habe ihn öfter im Krankenhaus besucht. Verdammt, es liegt keine sechs Blocks von Ellies Haus entfernt.
    Ich dachte, das ist das Mindeste, was ich tun kann.«
    »Worüber habt ihr geredet?«
    »Über den Bürgerkrieg. Er glaubte immer noch, wir hätten gewonnen.«
    Beide lächelten und aßen dann ein paar Augenblicke schweigend. Als Harry Rex auftauchte, war es mit der Stille vorbei. Er nahm sich

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