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Der Richter

Der Richter

Titel: Der Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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gerade Besorgungen mache und erst in zwei Stunden zurück sei. Ray fragte, ob sie Lagerplatz zu vermieten habe, und sie bot ihm eine Führung durch das Depot an.
    Vor vielen Jahren war einmal ein entfernter Onkel aus Texas zu den Atlees zu Besuch gekommen. Rays Mutter hatte ihren Sohn derart geschrubbt, dass ihm die Haut wehtat. Erwartungsvoll waren alle zum Depot gefahren, um den Onkel abzuholen. Forrest war damals noch ein Baby und wurde zu Hause beim Kindermädchen gelassen. Ray konnte sich noch gut daran erinnern, wie er auf dem Bahnsteig gewartet, das Pfeifen des herannahenden Zuges gehört hatte und von der Aufregung der wartenden Menge ange-steckt worden war. Zu jener Zeit war im Depot immer viel los gewesen, aber als er in die Highschool kam, wurde der Bahnhof stillgelegt und nur noch von jungen Rowdys als Unterschlupf benutzt. Das Gebäude wäre fast abgerissen worden, doch irgendwann nahm sich die Stadt der Sache an und führte eine halbherzige Renovierung durch.
    Inzwischen war es in viele kleine Räume aufgeteilt worden, die zwei Stockwerke einnahmen und bis an die Decke mit wertlosem Trödel voll gestopft waren. Überall lagen Holzbalken und Gipsplatten herum, ein sicheres Zeichen für endlose Reparaturen. Auf dem Fußboden befand sich Sägemehl. Ein schneller Rundgang bestätigte Rays Verdacht, dass das Depot noch besser brennen würde als Maple Run.
    »Im Keller haben wir noch mehr Platz«, sagte die Frau.
    »Nein danke.«
    Als er nach draußen ging, fuhr ein brandneuer schwarzer Cadillac auf der Taylor Street an ihm vorbei. Der makellos saubere Wagen funkelte im Schein der Morgensonne, am Steuer saß Claudia mit einer Jackle-O- Sonnenbrille.
    Während er in der schwülen Hitze stand und zusah, wie der Wagen die Straße hinunter glitt, hatte Ray das Gefühl, als würde ganz Clanton über ihm zusammenstürzen. Claudia, Vater und Sohn Cantrell, Harry Rex und dessen Frauen und Sekretärinnen, die Gebrüder Atkins, die Dächer repa-rierten, tranken und sich gegenseitig verprügelten …
    Sind denn alle verrückt geworden? Oder bin nur ich verrückt?
    Er stieg in den TT und fuhr davon, eine Wolke aus Staub und Schotter zu-rücklassend. Am Stadtrand gabelte sich die Straße. Richtung Norden ging es zu Forrest, RichtungSüden zur Küste. Rays Leben würde nicht einfacher werden, wenn er jetzt seinen Bruder besuchte, aber er hattees ihm versprochen.

28
    Zwei Tage später kam Ray an der Golfküste von Mississippi an. Er wollte einige Studienfreunde von der juristischen Fakultät in Tulane besuchen und spielte mit dem Gedanken, seine Stammlokale von früher abzuklappern. Er sehnte sich nach einem Austern-Sandwich im Franky & Johnny’s, einer Muffaletta im Maspero’s in der Decatur Street im französischen Viertel, einem Dixie-Bier im Chart Room in der Bourbon Street und einem Zicho-rienkaffee und Beignets im Café du Monde - alles Restaurants und Kneipen, in denen er vor zwanzig Jahren regelmäßig gewesen war.
    Aber in New Orleans nahm die Kriminalität überhand, und sein hübscher kleiner Sportwagen war dort vielleicht nicht sicher. Der Dieb, der ihn stehlen und den Kofferraum öffnen würde, hätte das große Los gezogen. Aber kein Dieb würde ihn erwischen - genauso wenig wie die Staatspolizei, denn er hielt sich genau an die Geschwindigkeitsbegrenzungen. Er war der perfekte Autofahrer: Er befolgte sämtliche Vorschriften und behielt jedes andere Auto im Auge.
    Auf dem Highway 90 herrschte reger Verkehr, und eine Stunde lang fuhr er im Schneckentempo Richtung Osten durch Long Beach, Gulfport und Biloxi. Am Strand entlang, vorbei an den glitzernden, neuen Kasinos am Meer, den neuen Hotels und Restaurants. Das Glücksspiel hatte an der Küs-te genauso schnell Fuß gefasst wie in den ländlichen Gebieten um Tunica.
    Ray fuhr über die Bucht von Biloxi und passierte die Grenze zu Jackson County. In der Nähe von Pascagoula sah er eine hektisch blinkende Neon-reklame, die ein Büffet mit Cajun-Gerichten für 13,99 Dollar anpries. Das Restaurant sah heruntergekommen aus, aber der Parkplatz war hell erleuchtet. Als Ray die Anlage etwas genauer in Augenschein nahm, stellte er fest, dass er einen Tisch am Fenster bekommen und sein Auto im Auge behalten konnte. Inzwischen war das für ihn schon zur Gewohnheit geworden.
    An der Küste gab es drei Countys: Jackson im Osten, die an Alabama angrenzte, Harrison in der Mitte und Hancock im Westen bei Louisiana.
    Ein Lokalpolitiker aus der Gegend hatte es in Washington

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