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Der Richter

Der Richter

Titel: Der Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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hatte. »Du bist die ganze Nacht von Charlottesville hierher gefahren?«
    »Es sind nur fünfzehn Stunden.«
    Eine Kellnerin brachte Ray Kaffee. »Wie lange wollen die Dachdecker am Haus arbeiten?«
    »Sind sie schon da?«
    »0 ja. Mindestens ein Dutzend. Ich wollte eigentlich die nächsten zwei Tage durchschlafen.«
    »Das sind die Gebrüder Atkins. Wenn sie nicht gerade trinken oder miteinander streiten, sind sie ziemlich schnell. Einer von ihnen ist letztes Jahr von der Leiter gefallen und hat sich fast das Genick gebrochen. Ich habe drei-
    ßigtausend von der Unfallversicherung für ihn herausgeholt.«
    »Warum hast du sie dann genommen?«
    »Sie sind billig, und das sollte dir als Nachlassverwalter nur recht sein.
    Wenn du schlafen willst, geh in mein Büro. Ich habe ein kleines Versteck im zweiten Stock.«
    »Mit einem Bett?«
    Harry Rex sah sich vorsichtig um, als würden die Klatschmäuler von Clanton schon auf ihn lauern. »Kannst du dich noch an Rosetta Rhines erinnern?«
    »Nein.«
    »Sie war meine fünfte Sekretärin und dritte Frau. Dort oben hat alles angefangen.«
    »Sind die Bettbezüge sauber?«
    »Was für Bettbezüge? Nimm’s oder lass es bleiben. Es ist sehr ruhig dort, aber der Boden wackelt. Deshalb wurden wir auch erwischt.«
    »Tut mir Leid, dass ich gefragt habe.« Ray trank einen großen Schluck Kaffee. Er war hungrig, aber er wollte sich nicht den Magen voll schlagen.
    Am liebsten wäre ihm etwas Leichtes, Gesundes gewesen, wie eine Schüssel Müsli mit Obst und fettarmer Milch. Aber wenn er im Coffee Shop etwas Derartiges bestellte, würde man sich über ihn lustig machen.
    »Willst du was essen?«, knurrte Harry Rex.
    »Nein. Wir müssen ein paar Sachen lagern, Kartons und Möbel. Weißt du, wo wir das Zeug hinbringen können?«
    »Wir?«
    »Okay, ich.«

    »Es ist doch sowieso nichts wert. « Harry Rex biss in ein Brötchen, das er mit Wurst und Käse belegt und mit Senf bestrichen hatte. »Verbrenn es.«
    »Ich kann die Sachen nicht verbrennen. Zumindest jetzt noch nicht. «
    »Dann tu das, was alle guten Nachlassverwalter tun. Du bringst die Sachen für zwei Jahre in ein Lagerhaus, dann gibst du einen Teil davon der Heilsarmee, und den Rest verbrennst du.«
    »Ja oder nein - gibt es hier ein Lagerhaus?«
    »Bist du nicht mit dem verrückten Cantrell in die Schule gegangen? «
    »Es gab zwei verrückte Cantrells.«
    »Nein, es gab drei. Einer ist in der Nähe von Tobytown von einem Bus überfahren worden.« Harry Rex trank einen großen Schluck Kaffee, dann widmete er sich wieder den Eiern.
    »Ein Lagerhaus, Harry Rex.«
    »Oh, wir sind etwas gereizt heute.«
    »Nein, nur hundemüde.«
    »Ich habe dir mein Liebesnest angeboten.«
    »Nein danke. Da sind mir die Dachdecker lieber.«
    »Ihr Onkel ist Virgil Cantrell. Ich habe seine erste Frau bei ihrer zweiten Scheidung vertreten. Er hat das alte Bahnhofsdepot zu einem Lagerhaus umgebaut.«
    »Ist das das einzige Lagerhaus in Clanton?«
    »Nein, Lundy Staggs hat westlich der Stadt eins mit kleinen Mietabteilen gebaut, die aber mit Wasser voll gelaufen sind. Ich würde da nichts lagern.«
    »Wie heißt das Depot jetzt?« Ray hatte genug vom Coffee Shop.
    »Das Depot.« Wieder ein Biss in das Brötchen.
    »An den Gleisen?«
    »Genau.« Harry Rex kippte Tabasco über die Eier, die noch auf seinem Teller lagen. »Er hat eigentlich immer Platz und sogar einen Raum umbau-en lassen, damit er feuerfest ist. Ich würde allerdings nicht in den Keller gehen.«
    Ray zögerte, weil er wusste, dass er den Köder besser ignorieren sollte. Er warf einen Blick auf seinen Wagen, den er vordem Gerichtsgebäude geparkt hatte, und fragte: »Warum nicht?«
    »Sein Junge wohnt da unten. «
    »Sein Junge? «
    »Ja, der ist genauso verrückt wie der Alte. Virgil konnte ihn nicht in Whitfield unterbringen, und Geld für eine private Anstalt hat er nicht, also hat er ihn in den Keller gesperrt.«
    »Ist das dein Ernst?«

    »Na klar. Ich habe ihm gesagt, dass er damit nicht gegen das Gesetz verstößt. Der Junge hat alles, was er braucht - Schlafzimmer, Bad, Fernseher.
    Das ist erheblich billiger als ein Zimmer in einer Klapsmühle.«
    »Wie heißt er?« Ray musste einfach fragen.
    »Der Kleine.«
    »Der Kleine?«
    »Der Kleine.«
    »Wie alt ist der Kleine?«
    »Weiß ich nicht. Fünfundvierzig, fünfzig.«
    Zu Rays großer Erleichterung waren weder Vater noch Sohn zu sehen, als er das Depot betrat. Eine stämmige Frau in einem Overall sagte ihm, dass Mr. Cantrell

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