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Der Richter

Der Richter

Titel: Der Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Videokameras, Schließfachregister und vielleicht einiges mehr, weil er noch nie etwas in einem Bankschließfach deponiert hatte.
    Er war an mehreren Lagerhäusern mit Abteilen zum Mieten vorbeigefah-ren, die entlang der Interstate standen. Solche Lagerhäuser fand man inzwischen überall; aus irgendeinem Grund waren sie immer so nah wie möglich an die Hauptverkehrstraßen gebaut worden. Warum suchte er sich nicht eines davon aus, zahlte die Miete in bar und beschränkte das Ausfüllen von Formularen auf ein Minimum? Er konnte einen oder zwei Tage in Podunk-town bleiben, noch ein paar feuerfeste Lagerungskartons kaufen, das Geld verstecken und wieder abreisen. Es war eine brillante Idee, weil sein Peini-ger es nicht erwarten würde.
    Und es war eine dumme Idee, weil es bedeutet hätte, das Geld zurückzulassen.
    Er könnte es mit nach Maple Run nehmen und im Keller vergraben. Harry Rex würde den Sheriff und die Polizei bitten, auf verdächtig aussehende Fremde zu achten, die in der Stadt herumlungerten. Wenn Ray von jemandem verfolgt wurde, würde man den großen Unbekannten in Clanton fest-nageln, und Dell aus dem Coffee Shop würde bis Sonnenaufgang über alle Einzelheiten informiert sein. In Clanton konnte man nicht husten, ohne gleich drei Leute anzustecken.
    Die Fernfahrer kamen immer zu mehreren herein und redeten meist laut miteinander, nach langer, einsamer Fahrt begierig auf Gesellschaft und Gespräche. Sie sahen alle gleich aus, trugen Jeans und Cowboy-Stiefel. Als ein Mann mit Turnschuhen an Ray vorbeiging, wurde er aufmerksam.
    Leichte Baumwollhose, keine Jeans. Der Mann war allein und setzte sich an die Theke. Ray konnte im Spiegel einen Blick auf sein Gesicht erha-schen, das er schon einmal gesehen hatte. Weit auseinander stehende Augen, schmales Kinn, lange, flache Nase, flachsblondes Haar, etwa fünfunddreißig. Irgendwo in der Gegend von Charlottesville, aber er wusste nicht mehr, wo.
    Oder verdächtigte er jetzt jeden?
    Die Kellnerin brachte seinen dampfend heißen Hamburger, auf dem Pommes frites lagen, doch Ray hatte keinen Hunger mehr. Er fing mit der dritten Serviette an. Die ersten beiden hatten ihn nicht weitergebracht.
    Zurzeit gab es nicht viele Möglichkeiten für ihn. Da er das Geld nicht aus den Augen lassen wollte, nahm er sich vor, die Nacht durchzufahren, ab und zu für einen Kaffee anzuhalten, vielleicht ein kleines Nickerchen im Wagen einzulegen. Am frühen Morgen würde er in Clanton ankommen.
    Wenn er wieder auf vertrautem Terrain war, würde ihm sicher etwas einfallen.
    Das Geld im Keller von Maple Run zu verstecken war keine gute Idee.
    Ein Kurzschluss, ein Blitzschlag, ein vergessenes Streichholz, und das Haus fing an zu brennen. Es war sowieso kaum mehr als Brennholz.
    Der Mann an der Theke hatte ihn keines Blickes gewürdigt, und je mehr Ray darüber nachdachte, desto mehr war er der Überzeugung, dass er sich geirrt hatte. Der Mann hatte ein Durchschnittsgesicht, jene Art Gesicht, das man jeden Tag sah und selten in Erinnerung behielt. Er aß Scho-koladenkuchen und trank Kaffee. Eigenartig, um elf Uhr nachts.

    Ray kam um kurz nach sieben Uhr morgens in Clanton an. Er hatte gerötete Augen, fiel vor Müdigkeit beinahe um und sehnte sich nach einer Dusche und zwei Tagen Schlaf. In der Nacht zuvor hatte er von der Stille in Maple Run geträumt, wenn er nicht gerade sämtliche Scheinwerfer hinter sich im Rückspiegel beobachtet und sich geohrfeigt hatte, um wach zu bleiben. Ein großes, leeres Haus ganz für ihn allein. Er konnte oben, unten oder auf der Veranda schlafen. Keine klingelnden Telefone, niemand, der ihn störte.
    Aber die Dachdecker hatten andere Pläne. Sie waren schon fleißig bei der Arbeit, als er Maple Run erreichte. Auf dem Rasen vor dem Haus lagen Leitern und Werkzeuge, die Einfahrt war von mehreren Pritschenwagen blockiert. Er fand Harry Rex im Coffee Shop, wo er pochierte Eier aß und zwei Zeitungen gleichzeitig las.
    »Was machst du hier?« Harry Rex hob kaum den Blick. Er war weder mit seinen Eiern noch mit seinen Zeitungen fertig und schien nicht sonderlich begeistert davon zu sein, dass Ray im Coffee Shop auftauchte.
    »Möglicherweise habe ich Hunger.«
    »Du siehst furchtbar aus.«
    »Danke. Ich konnte nicht schlafen, deshalb bin ich hergefahren.«
    »Du brichst gleich zusammen.«

    »Stimmt.«
    Endlich ließ Harry Rex die Zeitung sinken. Er spießte mit der Gabel einen Bissen von dem Ei auf, das er offenbar mit einer scharfen Sauce über-gossen

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