Der Ring der Kraft - Covenant 06
er nicht länger ein Recht auf diese Macht hatte.
Das war der maßgebliche Punkt, der Konflikt, den er nicht lösen, dem er sich genausowenig entziehen konnte; und er schien ihm das Gefühl für sich selbst zu nehmen, seine Identität zu zerstören. Was hatte er dem Land denn anderes zu bieten als wilde Magie und beharrliche, leidenschaftliche Hingabe? Was anderes gab ihm in den Augen seiner Freunde einen Wert – oder in den Augen Lindens, die seine Bürde übernehmen müßte, sobald er sich ihrer entledigte? Vom Anfang an hatte sein Dasein im Lande nichts umfaßt außer Torheiten und Leid, Sünde und Schlechtigkeit; und nur die wilde Magie hatte ihn dazu befähigt, Wiedergutmachung zu leisten. Und nun hatte die Sonnengefolgschaft die Dörfer des Landes zu traurigen Überbleibseln heruntergebracht. Erneut hatte sie es verstanden, Haruchai in ihre Gewalt zu bringen. Die einzelnen Phasen des Sonnenübels dauerten nur noch zwei Tage. Seeträumer und Hergrom, Ceer und Hamako waren tot. Wenn er jetzt den Ring abgab, wie Findail und das Verhängnis es ihn zu tun drängten, wie sollte er je wieder dazu imstande sein, die schwere Last all seiner Handlungen zu tragen?
Wir sind Widersacher, du und ich, Gegner bis ans Ende. Doch das Ende wird dein sein, Zweifler, nicht mein. Zu guter Letzt wirst du nur noch eine Wahl haben, und in deiner Verzweiflung wirst du sie treffen. Aus eigenem Entschluß wirst du das Weißgold meiner Hand ausliefern.
Covenant sah keine Lösung. Unter den Toten in Andelain hatte Mhoram ihn gewarnt: Er hat zu dir gesagt, du wärst sein Feind. Sei dessen eingedenk, daß er stets darauf sinnt, dich irrezuführen. Aber Covenant konnte sich nicht zusammenreimen, was der frühere Hoch-Lord gemeint haben mochte.
Ringsherum schien eine Beklommenheit, die sich durch kein noch so helles Mondlicht lindern ließ, die Hügel zu befallen. Unbewußt war Covenant unter dem vorwurfsvollen Glitzern der Sterne aufs Erdreich niedergesunken. Findail hatte dahergeredet wie der Verächter. Und nun gilt's, den Ringträger davon zu überzeugen, daß er den Ring hergeben muß. Andernfalls wi rd er die Erde gewiß vernichten. Covenant kauerte sich zusammen. Er verspürte das verzweifelte Bedürfnis, laut aufzuschreien, und konnte es doch nicht; er litt unter dem Druck, Empörung und wutentbrannte Raserei an den blinden Himmel emporschleudern zu wollen, aber die atemberaubende Gefährlichkeit seiner magischen Macht versagte ihm jede Erleichterung. Er war in die Falle des Verächters gegangen, und es gab keinen Ausweg.
Als er hinter seinem Rücken Schritte den Hügel herauf sich nähern hörte, verhüllte er sein Gesicht, um zu vermeiden, daß er jämmerlich um Beistand zu winseln anfing. Er vermochte die individuellen Emanationen seiner Gefährten nicht wahrzunehmen und wußte nicht, wer kam. Irgendwie rechnete er mit Pechnase oder Sunder. Doch die Stimme, die leise, wie in einem Seufzen des Mitgefühls oder Zuredens, seinen Namen nannte, gehörte Linden.
Mühsam rappelte er sich auf, um sich ihr zuzudrehen, obwohl es ihm an Mut fehlte, sich ihrer Fürsorge hinzugeben, die er nicht verdient hatte. Der Mondschein schimmerte auf Lindens Haar, als wäre es sauber und schön. Ihre Gesichtszüge blieben jedoch im Schatten; nur ihr Tonfall verriet die Stimmung, in der sie sich befand. Sie sprach, als wüßte sie genau, wie nah er dem Zusammenbruch war. »Laß es mich versuchen«, sagte sie so gedämpft und sanft, als begänne sie ein Gebet.
Da schien in Covenant etwas zu zerspringen. »Dich lassen? « brauste er auf. Er hatte keine andere Möglichkeit, um seinen Gram zu unterdrücken. »Ich kann dich ja kaum dran hindern . Wenn du so verdammt versessen und wild drauf bist, die Verantwortung für die ganze Welt auf dich zu laden, brauchst du nicht erst meine Erlaubnis. Du brauchst nicht einmal den Ring an dich zu nehmen. Du kannst ihn benutzen, während ich ihn trage. Es ist nicht mehr notwendig, als daß du von mir Besitz ergreifst.«
»Hör auf«, bat sie wie das Echo eines Flehens. »Hör auf!«
»Das wäre ja nicht mal neu für dich. Es wäre so ähnlich wie das, was du mit deiner Mutter getan hast. Nur mit dem Unterschied, daß ich anschließend noch leben würde.«
Da zwang er sich mit einem Ruck zum Schweigen, keuchte unter der Stärke seines Verlangens auf, diese Gemeinheit ungeschehen machen zu können, seines Wunschs, sich unterbrochen zu haben, ehe er sie aussprach. Linden hob ihre Fäuste in den Mondschein, und
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