Der Ring der Kraft - Covenant 06
Landläufer sich über Linden auf.
Ihr Gesicht war im Licht, das vom Innenhof hereinfiel, klar zu erkennen. Covenant erwartete, Panik in ihrer Miene zu sehen, Paralyse, Entsetzen; und er schnappte nach Luft, rang darum, schnell genug seine Energie zu aktivieren, um ihr helfen zu können. Aber Lindens Gesichtszüge zeigten keinerlei Furcht. Vielmehr bezeugten sie angespannte Konzentration: Ihr Blick glomm zu den Tieren empor. Ihr Gesichtsausdruck glich in seiner Schärfe einem exakten Befehl. Und da zögerten die Landläufer. Für einen Moment verharrten sie, statt sich auf sie zu stürzen. Irgendwie gelang es Linden, ohne daß sie auf besondere Kräfte zurückgreifen mußte, mit ihrem Wahrnehmungsvermögen in den Geist der Tiere vorzudringen und sie zu verwirren. Die Landläufer besaßen nur einen primitiven Verstand, und das Sonnenfeuer war stark. Linden konnte sie nur für wenige Sekunden beeinflussen; aber das genügte.
Ehe sie sich besannen, rannte Nebelhorn gegen die Tiere an wie ein lebendiger Rammbock. Einmal hatte er Linden in Lebensgefahr keine Hilfe geleistet, weil er nicht zu entscheiden imstande gewesen war, ob er ihr beistehen sollte oder dem ebenfalls bedrohten Blankehans; und das damalige Versagen bedrückte sein Gemüt noch heute. Doch nun erblickte er eine Chance, wie er es wettmachen konnte, und hatte vor, sich nicht durch menschliche Schwäche oder Schmerzen abschrecken zu lassen. Ohne auf seine Verletzungen zu achten, tat er, was ihm möglich war, um Linden zu retten. Sein rechter Arm schwang nutzlos hin und her, aber seine Linke war noch stark. Nebelhorns anfänglicher Anprall brachte beide Landläufer ins Rückwärtstaumeln. Das eine Tier fiel auf die Seite; und der Riese setzte sofort nach, versetzte ihm einen Schlag auf den Kopf, der den Schädel mit einem schauderhaften Bumsen auf den Stein prellte. Das Vieh erzitterte am ganzen Körper und blieb liegen. Nebelhorn fuhr herum zum anderen Landläufer, der sich aufrichtete, um ihn niederzustampfen. Mit der unversehrten Hand packte Nebelhorn ihn an der Gurgel; seine Finger krallten sich in den Hals des Tiers, um es zu erwürgen. Der Landläufer versuchte mit den Fängen nach Nebelhorns Gesicht zu schnappen; die Augen des Viehs glitzerten irrsinnig. Seine Vorderhufe zerschrammten dem Riesen die Schultern, die Sporne rissen die Haut auf; Blut rann ihm an den Seiten hinab. Aber Linden hatte ihm das Leben bewahrt, als er weit schwerer als jetzt verletzt gewesen war – und er hatte sie im Stich gelassen. Ihn beseelte der Wille, nicht noch einmal zu scheitern.
Er hielt das Vieh fest, bis Fole und andere Haruchai herbeieilten, um ihn zu unterstützen. Sie umklammerten die Vorderbeine des Landläufers, stachen ihn mit den eigenen Spornen. Binnen weniger Augenblicke war der Landläufer tot. Nebelhorn ließ ihn wuchtig auf den Steinboden fallen. Seine Muskeln fingen an zu beben, als das Gift in dem Riesen zu wirken begann.
Dann war der Kampf vorbei. Vom anderen Ende des Eingangssaals hallten Gekeuche und Schweigen herüber. Grimmig rappelte sich Covenant auf und wankte zu Linden und Nebelhorn.
Linden war ungeschoren geblieben. Nebelhorn und die Haruchai hatten alles Unheil auf sich genommen. Lindens Augen tränten, als wären die Wunden ihrer Beschützer ihr ins Herz geritzt worden. Doch ihr Mund und die Seiten ihrer Wangen drückten Zorn aus. Sie wirkte wie eine Frau, die niemals wieder vor Furcht gelähmt sein würde. Soll er's nur versuchen , hätte sie womöglich geäußert, wenn sie etwas gesagt hätte. Soll's der verdammte Hurensohn von einem Schlächter ruhig versuchen. Ehe Covenant irgendwelche Worte fand, gesellte sich die Erste zu ihm.
Sie schnaufte von den durchgestandenen Anstrengungen. Ihre Augen schimmerten, und von ihrer Klinge troff dickliches Blut. Aber sie sprach nicht von derartigen Angelegenheiten. Sie überraschte Covenant, als sie sich an ihn wandte. »Der Meister ist fort«, sagte sie durch die Zähne. »Er ist seinem Trachten gefolgt und ins Innere der Feste enteilt. Ich weiß, wonach ihm der Sinn steht – und ich fürchte, er wird's erlangen.«
Hinter ihr röchelte Pechnase nach Atem, als hätte sein Wüten ihm das Gewebe seiner eingedrückten Lungen zerfranst. Nebelhorn zitterte am Rande von Konvulsionen, während sich in ihm das Landläufer-Gift ausbreitete. Sunders Gesicht war aus Entkräftung grau; Hollian mußte ihn energisch stützen, um ihn auf den Beinen zu halten. Sechs Haruchai hatten durch den Zorn Verbrennungen
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