Der Ring der Kraft - Covenant 06
Aber aus ebendiesem Schmerz schien er Kraft zu beziehen, als wäre er die eine Verheißung, die ihn am Leben hielt.
Nach einer Weile gesellte sich Covenant wieder zu den beiden Riesen und Linden. »Vielleicht begegnet er ihr in Andelain«, sagte er mit einem Seufzen. »Kann sein, sie schafft's, ihn zur Vernunft zu bringen.«
»Darauf laßt uns hoffen«, äußerte die Erste gedämpft. »Seine Kräfte müssen ihm alsbald vollends schwinden.«
Covenant nickte. Während er das Frühstück einnahm, Brot und Trockenfrüchte kaute, nickte er fortgesetzt vor sich hin, als wäre er jemand, der nur noch eine Hoffnung sah.
Wenig später schob sich die Sonne über den Rand der Welt; und die Gefährten stellten sich auf von einer Gesteinsschicht durchzogenen Untergrund, um gemeinsam den Sonnenaufgang zu beobachten. Die Sonne zeigte sich in smaragdgrünem Schillern überm Horizont, verstreute grüne Glanzlichter auf den unruhigen Wasserspiegel des geschwinden Flusses. Bei diesem Anblick war Linden für einen Moment aus Erleichterung regelrecht schwummrig zumute. Sie war sich gar nicht darüber im klaren gewesen, wie sehr sie eine neue Sonne des Regens gefürchtet hatte.
Wärme; die Sonne der Fruchtbarkeit spendete Wärme. Sie minderte die Wildheit der Strömungen im Fluß, verringerte die Kälte des Wassers. Und sie schien auf Lindens Nerven mit der Tröstlichkeit trockener, am Feuer erwärmter Decken herab. Unterstützt durch die Erste, Covenant neben sich und Pechnase sowie Sunder nur wenige Meter entfernt, schwamm sie nunmehr mit dem Gedanken flußabwärts, daß man dem Seelentrostfluß seinen Namen womöglich keineswegs leichtfertig gegeben hatte.
Doch die Erleichterung machte sie nicht blind für das, was an beiden Flußufern auf der Erde geschah. Die Freundlichkeit der Sonne der Fruchtbarkeit war eine Illusion, eine Täuschung, die der vom Fluß gewährte Schutz hervorrief. Wie von Unholden getrieben, entwand sich an den Ufern Grün dem Untergrund. Efeu und Gräser breiteten sich, aus ihren Wurzeln emporgescheucht, über die Böschungen des Wasserlaufs aus. Sträucher streckten ihre Zweige in die Höhe, als stünden sie in Flammen; Bäume reckten sich mit der Raserei von Verdammten himmelwärts. Und Linden stellte fest, daß die relative Sicherheit, die der Fluß bot, die Eindrücke, die von dem wüsten, unfreiwilligen Wuchern auf sie eindrangen, lediglich um so stärker betonte. Sie schwamm durch eine Wildnis stummer Qual; nichtsdestotrotz war die Marter ringsherum für sie so zudringlich wahrnehmbar wie lautes Kreischen. Durch Folterung über die Grenzen der Naturgesetze hinausgedrängt, besaßen die Bäume und sonstigen Pflanzen keinerlei Möglichkeit zur Gegenwehr, konnten für sich nichts tun als wachsen, wachsen, wachsen – und das Geschrei ihrer dumpfen Pein an den Himmel erheben.
Vielleicht war Andelains Forsthüter inzwischen doch unterlegen. Wie lange konnte jemand es verkraften, diese Schreie hören und dabei hilflos bleiben zu müssen?
Zwischen immer höheren Wällen aus Qual strömte der Fluß nach Osten, durch einen ausgedehnten, südöstlichen Bogen zum Donnerberg. Langsam geriet Linden in eine sonderbare, unzusammenhängende Versonnenheit. Sie hielt sich an der Schulter der Ersten fest und den Kopf über Wasser, sah die Flußufer vorübergleiten, das Grün emporwuchern. Auf einer anderen Ebene ihres Innenlebens jedoch brachte sie diesen Vorgängen keine Aufmerksamkeit entgegen. In ihrem Innern wuchs auch die Finsternis, die befruchtet worden war durch die Berührung des Gibbon-Wütrichs. Genährt durch das Sonnenübel, verzweigte sie sich in ihr, sproß und verästelte sich immer weiter. Sie erinnerte sich daran, als hätte sie es hinter der Vordergründigkeit von Trauer, Schmerz und Abscheu nie vergessen, daß mit der Tat, ihre Mutter zu ersticken, ein insgeheimes Vergnügen verbunden gewesen war, tief drinnen gelauert hatte – wilde Freude über den Geschmack der Macht. Auf irgendwie abgehobene Weise wußte sie, was mit ihr geschah. Sie war Lord Fouls Übel nun schon zu lange ausgesetzt. Die Selbstkontrolle, ihr Gespür dafür, was und wer sie sein wollte, kam ihr abhanden.
Heiser lachte sie auf, empfand einen plötzlichen Ausbruch von Heiterkeit, der ihr Laute entlockte wie einem Wütrich. Sie fand ihre Erkenntnis bitterlich belustigend. Bisher hatten die schiere Mühsamkeit und Schinderei des Umherziehens unterm Sonnenübel es ihr ermöglicht, sich zu vergegenwärtigen, wer sie war; der
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