Der Ring der Kraft - Covenant 06
ausgesprochen hatte, was in ihm vorging. Eine ganze Reihe falscher Ansätze widerspiegelten sich nacheinander in seiner Miene. »Ich brauche Entlastung«, fügte sie hinzu, um ihm irgendwie entgegenzukommen. »Je schneller ich mich dem Einfluß des Sonnenübels entziehen kann, um so besser wird's mir gehen.«
»Linden ...« Covenant sprach ihren Namen aus, als mache sie es ihm durchaus nicht leichter. »Als wir in Steinhausen Mithil waren ... und Sunder uns gesagt hat, er werde seine Mutter töten müssen ...« Er schluckte schwerfällig. »›Wenn er Euthanasie bevorzugt‹, hast du dazu geäußert, ›ist das seine Sache.‹« Wie er sie nun anschaute, sah sie in seinen Augen unmißverständlich den Tod ihrer Mutter. »Ist das noch immer deine Einstellung?«
Unwillkürlich zuckte Linden zusammen. Es wäre ihr lieber gewesen, die Beantwortung dieser Frage aufschieben zu dürfen, bis sie wußte, weshalb Covenant sie stellte. Aber sein ehrliches Bedürfnis nach einer Auskunft ließ sich schwerlich übergehen. »Sie hat schreckliche Schmelzen gehabt«, erwiderte sie vorsichtig. »Ich glaube, daß Menschen, die so leiden müssen, ein Recht auf den Tod haben. Aber Töten aus Barmherzigkeit ist nicht unbedingt auch für die Menschen barmherzig, die es ausführen. Mir mißfällt, was diese Menschen damit sich selbst antun.« Linden bemühte sich um einen distanzierten, unpersönlichen Tonfall; doch der Schmerz, den ihr Covenants Frage bereitete, war allzu stark. »Mir gefällt jedenfalls nicht, was ich mir damit angetan habe ... Vorausgesetzt, man kann das, was ich gemacht habe, noch Töten aus Barmherzigkeit nennen statt Mord.«
Covenant vollführte eine Gebärde, inmitten deren er erlahmte; sie glich einem mißlungenen Versuch der Beruhigung. Seine Stimme klang leise; doch sie zeugte von einer seltsamen inneren Fiebrigkeit. »Und was wirst du tun, wenn inzwischen mit Andelain etwas geschehen ist? Wenn du dich dem Sonnenübel nicht entziehen kannst? Caer-Caveral hat schon gewußt, daß er nicht durchhalten kann. Alles andere hat Foul bereits verdorben. Was sollen wir dann tun?« Sein Adamsapfel hüpfte auf und nieder wie ein Vorzeichen der Panik. »Ich kann alles ertragen, was ich ertragen muß. Aber das nicht. Das nicht.«
Er sah so trostlos und hilflos aus, daß sein Anblick zuviel war für Linden. Tränen quollen ihr in die Augen. »Vielleicht ist mit Andelain noch alles in Ordnung«, meinte sie leise. »Du kannst hoffen. Es hat so lange ausgehalten. Also kann's auch noch ein bißchen länger aushalten.« Andernfalls , dachte sie jedoch tief drunten zwischen den kalten, finsteren Wurzeln ihrer Seele, ist es mir egal, was passiert. Ich reiße dem Schuft das Herz heraus. Irgendwie werde ich an Macht gelangen, und dann reiße ich ihm das Herz aus. Sie behielt ihre Gedanken für sich. Doch Covenant spürte anscheinend die Vehemenz in ihrem Gemüt. Statt sich auf ihren Versuch einzulassen, ihn zu trösten, zog er sich in seine Gewißheit zurück. Gewappnet mit Entscheidungen und Überlegungen, die Linden nicht verstand, nicht mit ihm teilen konnte, blieb er während der Nacht von ihr auf Distanz.
Geraume Zeit verstrich, ehe sie begriff, daß es ihm nicht darauf ankam, sie zurückzuweisen. Er versuchte sich auf den kommenden Tag vorzubereiten.
Aber in der rauhen, gräulichen Morgendämmerung, als er sich bleich und verkrampft aus seinen Decken wälzte, um Linden zu küssen, war die Wahrheit allzu offensichtlich. Er stand innerlich an einem Abgrund, und sein Gleichgewicht war unsicher. Der Teil seines Ichs, der im Sonnenfeuer verschmolzen worden war, kannte kein Schwanken; doch das Gefäß seiner so festen Legierung wirkte brüchig wie alte Knochen. Aber trotz seiner inneren Anspannung bemühte er sich um ein Lächeln. Linden reagierte mit einer Grimasse, weil sie nicht wußte, wie sie ihn schützen konnte.
Während Pechnase für die Gefährten ein Frühstück zubereitete, ging Covenant hinüber zu Sunder. Er kniete sich hinter den Steinmeister und massierte ihm mit den gefühllosen Fingern die starren Schultern und den steifen Nacken. Sunder ließ auch diese Geste der Hilfsbereitschaft unbeachtet. Anscheinend nahm er außer von Hollians fahlem Leichnam und seiner eigenen, verbohrten Absicht von nichts noch Kenntnis. In Lindens Sinneswahrnehmung ächzte sein Körper aus Schwäche und Erschöpfung. Und sie spürte, wie ihm die nun nicht mehr eingewickelte, heiße Klinge des Krill unterm Wams den bloßen Bauch versengte.
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