Der Ring der Kraft - Covenant 06
nicht das Geheimnis des Dämondim-Abkömmlings einschloß, vollständig genug war, um sich darauf zu verlassen. Als er an Hohl vorbeiging, war er sich schon genauer darüber im klaren, warum er zu Linden wollte.
Er fand sie in der Nähe des Fockmasts, in einigem Abstand vom Bug, wo Findail der Zukunft zugewandt stand wie eine Galionsfigur. In ihrer Gesellschaft befanden sich die Erste, Pechnase und ein weiterer Riese. Als Covenant näher trat, erkannte er in dem dritten Riesen Nebelhorn, dem Linden, indem sie sein – Covenants – Leben während seines letzten Rückfalls ins Gift-Delirium riskierte, das Leben gerettet hatte. Die drei Riesen begrüßten ihn mit der gleichen vorsichtigen Behutsamkeit, die ihm bereits bei Blankehans und Derbhand aufgefallen war – der Rücksichtnahme von Menschen, die ahnten, daß sie sich einem Leid gegenübersahen, das den eigenen Kummer überstieg. Doch Linden schien Covenants Ankunft gar nicht zu bemerken. Im schwachen Lichtschein der Laternen wirkte ihr Gesicht bleich, fast verhärmt; und Covenant entsann sich plötzlich, daß sie sich seit dem Erreichen der Insel des Einholzbaums, ja sogar vorher schon, keine Ruhe mehr gegönnt hatte. Die Kräfte, durch die sie bislang aufrecht gehalten worden war, hatten sich verschlissen; sie wirkte aus Erschöpfung fast gebrechlich. Im ersten Moment stand die Tatsache, wie nahe sie dem Zusammenbruch war, so sehr im Vordergrund von Covenants Bewußtsein, daß er zunächst nicht gewahrte, auch sie trug ihre alte Kleidung – das karierte Flanellhemd, die widerstandsfähige Jeans und die robusten Schuhe, mit denen es sie ins Land verschlagen hatte.
Obwohl ihre Entscheidung für die alten Kleidungsstücke sich in keiner Weise von seinem diesbezüglichen Entschluß unterschied, verursachte ihr Anblick ihm eine unerwartete, schmerzliche Regung. Wieder einmal war er von seinem ständigen Drang nach Hoffnung mißgeleitet worden. Unbewußt hatte er sich erträumt, all die Schrecken und Enthüllungen der vergangenen Tage könnten Linden nicht verändern, sie beide nicht dazu bringen, zueinander wieder die vorherige Distanz einzunehmen. Dummkopf! schalt er sich aus. Er konnte sich Lindens Sensitivität nicht entziehen. Drunten in seiner Kabine hatte sie erkannt, was er tun würde, bevor er selbst es gewußt hatte.
Die Erste empfing ihn mit einem Tonfall, der aufgrund ihrer eigenen herben Emotionen barsch klang; aber ihre Worte bezeugten, daß sie empfindsam war gegenüber Covenants hartem Schicksal. »Thomas Covenant, deine Wahl dünkt mich wohl getroffen.« Die Niederlagen der letzten Tage und die Dunkelheit des Abends schienen ihre eherne Schönheit noch zu unterstreichen. Sie war eine Schwertkämpferin und darauf gedrillt, allen Gefahren der Welt entgegenzutreten. Während sie sprach, umklammerte sie mit einer Hand den Griff ihres Schwerts, als wäre die Waffe ein wichtiger Bestandteil dessen, was sie sagte. »Ich habe dich Riesenfreund genannt, und das getan zu haben erfüllt mich mit Stolz. Mein Gemahl Pechnase pflegt zu beteuern, unseres Lebens Sinn sei das Hoffen. Ich aber weiß nicht, wie man derlei Dinge zu bewerten hat. Jedoch weiß ich, daß Kampf besser ist als Aufgabe. Mir steht's nicht zu, in dieser Sache über die Pfade zu urteilen, die du beschreitest – dennoch freut's mich, daß du dich für den Weg des Kampfs entschieden hast.« Sie versuchte, ihn nach Art einer Kriegerin zu trösten.
Ihre Bemühungen rührten Covenant; doch gleichzeitig ängstigten sie ihn, weil er dadurch den Eindruck hatte, sich wieder auf mehr eingelassen zu haben, als er verkraften konnte. Er erhielt jedoch keine Gelegenheit zu einer Antwort. Zum erstenmal wirkte Pechnase, als wäre er mit dem, was seine Frau sagte, nicht so recht einverstanden. »Jawohl«, meinte er, kaum daß die Erste schwieg, »und auch Linden Avery ist, wie ich schon erwähnte, trefflich auserwählt. In einer Hinsicht allerdings ist sie unklug. Riesenfreund, sie mag sich keine Ruhe gönnen.« Seine Stimme zeugte deutlich von Besorgnis.
Linden schnitt eine Grimasse. »Linden, du mußt ...«, begann Covenant. Aber als sie ihn ansah, verstummte er. Ihr Blick schien Dunkelheit zu sammeln und gegen ihn zu richten wie einen Vorwurf.
»Ich habe keinen Ort mehr, wohin ich könnte.«
Die vollständige Verwaisung, die in ihrer Antwort zum Ausdruck kam, durchfuhr Covenant wie ein Aufschrei. Ihre Äußerung bedeutete zuviel auf einmal: daß die Welt, aus der sie stammte, durch das, was sie
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