Der Ring der Kraft - Covenant 06
keine See zu meistern!« Ihn beherrschte das weitere Schicksal des Schiffs. »Sollte es Pechnase gelingen, den Mastbaum irgendwie wiederherzustellen, muß ich eine Rah haben, die ein Segel hält! Er kann die Dromond nicht ganz und gar umbauen!« Einen Moment lang standen er und die Erste sich grimmig gegenüber. Es kostete Covenant alle Mühe, nicht in lautes Geheul zu verfallen.
Dann knirschte Granit, und ein Rumsen erschütterte das Deck, als vier oder fünf Riesen den Mastbaum vom einen Ende der Rah wälzten. Sofort sprangen die Erste und Blankehans hinzu und packten die Rah erneut. Unterstützt von Windsbraut und allen Riesen, die Hand an die Segelstange zu legen vermochten, boten sie sämtliche Körperkräfte auf, um die Rah in die Höhe zu wuchten. Ihre Arme bewegten die lange, steinerne Stange wie einen gewöhnlichen Balken. Als das Gewicht der Rah von ihrem Brustkorb verschwand, gab die verletzte Riesin ein Stöhnen von sich und verlor die Besinnung.
Unverzüglich beugte sich Windsbraut unter der angehobenen Rah über die Ohnmächtige. Die Lagerverwalterin legte eine Hand unter das Kinn, die andere Hand um den Hinterkopf der Bewußtlosen, um im Fall einer gebrochenen Wirbelsäule die Gefahr zusätzlicher Schädigungen minimal zu halten, dann zog sie ihre Kameradin unter der Rah hervor und an eine freie Stelle inmitten der Zerstörung. Covenant glotzte wie schwachsinnig hinüber, als wäre er gerade noch daran gehindert worden, ein Ritual der Schändung zu vollziehen.
Eilends untersuchte Windsbraut die Verletzte. Aber die ungenügende Helligkeit des Laternenlichts verlieh der Untersuchung einen unsicheren Charakter, beeinträchtigte ihren Wert durch Zögern und Ungewißheit. Windsbraut war die Heilerin an Bord der Dromond und verstand jede ersichtliche Erkrankung oder Wunde zu behandeln; aber sie verfügte über keinerlei Methoden zur Diagnostizierung oder Versorgung so schwerer innerer Verletzungen. Und während sie zauderte, drohte der bewußtlosen Riesin das Leben gänzlich zu entweichen.
Covenant versuchte Lindens Namen zu rufen. Doch im selben Augenblick näherte sich durch die Trümmer eine Gruppe von Riesen mit Laternen. Nebelhorn und Cail befanden sich darunter; Nebelhorn trug Linden. Sie lag auf seinen Armen, als schliefe sie noch, als wäre keine Verzweiflung genug, um den Einfluß des Diamondraught zu vertreiben. Aber als Nebelhorn sie auf die Beine stellte, blinzelte sie und schlug die Augen auf. Benommen strich sie sich mit den Fingern durchs Haar, warf es aus ihrem Gesicht nach hinten. Schatten ließen ihre Augen glasig wirken; sie glich einer Schlafwandlerin. Ein Gähnen verzerrte ihren Mund. Sie schien das zu ihren Füßen ausgestreckte Leid nicht zu bemerken. Dann sank sie unvermittelt neben der Riesin nieder, als wären ihr die Knie eingeknickt. Sie senkte den Kopf, das Haar fiel nach vorn und bedeckte erneut ihr Gesicht.
Die Erste stand in nutzloser Ungeduld daneben, krampfhaft die Fäuste in die Hüften gestemmt. Windsbraut starrte ins Licht der Laternen. Blankehans wandte sich ab, als könne er den Anblick nicht länger ertragen, fing leise Befehle zu erteilen an. Sein Tonfall veranlaßte die Matrosen zu eifrigem Befolgen seiner Weisungen.
Linden blieb gebeugt über der Riesin kauern, als bete sie. Die Geräusche der Riesin zwischen den Trümmern, das Knarren des Granits der Dromond und das gedämpfte Geknacke von Eis machten unhörbar, was sie sagte. Dann jedoch erklang ihre Stimme lauter und klarer. »Aber das Rückgrat ist heil. Wenn ihr den Rücken schient und sie festbindet, dürften die Knochen zusammenwachsen.« Windsbraut nickte schroff, als wüßte sie, daß es noch mehr zu sagen gab. Im nächsten Moment packte ein Zittern Linden. Ruckartig hob sie den Kopf. »Ihr Herz blutet. Eine gebrochene Rippe ...« Ihre Augen richteten einen weißlichen, blinden Blick in die Düsternis.
»Rette sie, Auserwählte!« knirschte die Erste durch die Zähne. »Sie darf nicht sterben. Drei von uns haben in dieser Nacht ihr Leben verloren. Kein vierter darf den Tod finden.«
Linden starrte weiter vor sich hin. Ihre Stimme war schwerfällig wie Blei. »Wie denn? Ich könnt's mit einer Notoperation versuchen, aber der Blutverlust wäre zu groß. Und ich habe kein Nahtmaterial.«
»Auserwählte.« Die Erste kniete sich vor Linden, faßte sie an den Schultern. »Ich weiß nichts von diesem ›Nahtmaterial‹. Deine Art des Heilens ist mir ganz und gar über. Ich weiß nur, sie muß sterben,
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