Der Ring der Kraft - Covenant 06
übersät und durchsetzt mit Findlingen und altem Eis; und Wind fegte von den Felsspitzen herab, stach in die Augen, blendete sie, behinderte die Sicht. Covenant klammerte sich an die Rückseite des Schlittens und trottete Blankehans hinterdrein. Sein rechter Arm pochte, als fräße die Kälte daran; es fehlte seinen tauben Händen an Kraft. Aber Vitrim und Diamondraught sorgten schneller für seine Kräftigung und Erholung, als er es für möglich erachtete; und der Wunsch, für seine Freunde keine Last zu sein, half ihm dabei, auf den Beinen zu bleiben.
Ihm ging jedes Gespür fürs Vorwärtskommen abhanden; der Gebirgszug schien überall ringsum über ihm an den Himmel aufzuragen. Wenn er tiefer durchzuatmen wagte, war ihm, als dränge die Luft in seine Lungen wie eine Säge. Er fühlte sich hinfällig, nutzlos und unermeßlich weit von Schwelgenstein entfernt. Aber er hielt durch. Die besondere Disziplin seines Leprotikertums hatte er längst abgelegt; ihre Grundeinstellung aber stak noch immer in ihm – das hartnäckige, übergenaue Beharren auf Überleben, das weder die Entfernung achtete, die noch vor ihm lag, noch das Leid, das er bereits durchlitten hatte. Als das Hereinbrechen des Abends die Gefährten zuletzt zum Haltmachen zwang, befand er sich nach wie vor auf den Beinen.
Der nächste Tag verlief jedoch noch schlimmer. Die Luft war so kalt wie die Bösartigkeit der Arghuleh. Wind sauste wie in Wut die engen Talmulden herab, durch die die Gefährten marschierten. Immer wieder mußte Cail entweder Covenant oder Linden helfen, oder es war erforderlich, daß er bei den Schlitten mit anpackte. Aber er wirkte, als lebe er in dieser Luft regelrecht auf. Die Riesen bezwangen den Weg nach oben, zerrten die Schlitten aufwärts, als wären sie vollauf dazu bereit, sich mit jedem Gelände zu messen. Und irgendwie hielt auch Linden durch, so halsstarrig wie Covenant, auf gewisse Weise sogar zäher als er. Ihr Gesicht war so fahl wie der Schnee zwischen Stein und Fels, die Kälte gab ihren Augen ein so glasiges Aussehen, als wären sie mit Reif überzogen. Aber sie erlahmte nicht.
Am Abend lagerten die Gefährten am unteren Ende eines Passes, der durch Gipfel führte, die sich auf geradezu dramatische, eindrucksvolle Weise, die dem Betrachter nachgerade Ehrfurcht abverlangte, an den Himmel emportürmten. Hinter der jenseitigen Ausmündung des Passes standen jedoch keine Berge mehr, die hoch genug waren, um etwas vom Licht des Sonnenuntergangs einzufangen.
Die Freunde hatten erhebliche Mühe damit, das Lagerfeuer lange genug zur Zubereitung eines Abendessens am Brennen zu halten; der Wind, der durch den Paß heulte, zauste an Reisig und Glut. Ohne einen provisorischen Windschutz aus Decken wäre gar kein Feuer möglich gewesen. Doch die Riesen unternahmen ihr Bestes, schafften es, sowohl das Essen zu wärmen wie auch das Wasser zu erhitzen, das Linden zur Behandlung von Covenants Arm brauchte. Als sie seinen Verband abnahm, überraschte es sie, zu sehen, daß die selbstzugefügten Verletzungen schon nahezu verheilt waren; nachdem sie die noch vorhandene schwache Infektion gewaschen hatte, legte sie einen neuen, leichteren Verband an, der dagegen vorbeugen sollte, daß sich Covenant den Arm irgendwie aufschürfte.
Froh über Lindens Fürsorge, ihre Berührungen, ihr Durchhaltevermögen – erfreut über mehr, als er in diesem Wind zu nennen vermochte –, versuchte er, ihr mit seinem Blick zu danken. Aber sie hielt ihre Augen abgewandt, und ihre Bewegungen fielen abgehackt aus, zeugten von Besorgnis und Kummer. Als sie zu guter Letzt den Mund aufmachte, klang ihre Stimme nach einer Vereinsamung, die an die Gipfel ringsherum erinnerte.
»Wir gelangen näher. Das hier ...« – sie vollführte eine Gebärde, mit der sie anscheinend auf den Wind verwies – »ist unnatürlich. Eine Reaktion auf etwas auf der anderen Seite.« Ihre Gesichtszüge nahmen einen düsteren Ausdruck an. »Wenn meine Meinung dich interessiert, ich würde sagen, seit zwei Tagen scheint eine Sonne der Dürre.«
Sie schwieg. Gespannt wartete Covenant darauf, daß sie weitersprach. Von Anfang an war das Sonnenübel für sie eine einzige Qual gewesen. Die zusätzliche Dimension ihrer sinnlichen Wahrnehmung setzte sie der Scheußlichkeit jenes Greuels gnadenlos aus, dem Wechsel zwischen Trockenheit und Durchnässung der Welt, dem Glühen von Wüstenei und dem Schreien der Bäume. Gibbon hatte ihr prophezeit, die eigentliche Zerstörung der Welt
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