Der Ring des Sarazenen
pochte heftig. Er würde bald wieder erwachen und vielleicht am nächsten Tag die schlimmsten Kopfschmerzen seines Lebens beklagen, ansonsten aber bestimmt keinen großen Schaden davontragen.
Als sie aufstand und sich zu Nemeth herumdrehte, erstarrte sie. Das Mädchen war dort stehen geblieben, wo sie es zurückgelassen hatte. Seine Augen waren weit aufgerissen, und ihr Ausdruck ließ Robin einen eisigen Schauer über den Rücken laufen.
»Was hast du getan?«, flüsterte Nemeth.
»Nicht jetzt«, sagte Robin. »Wir müssen weg!«
Sie streckte die Hand aus, aber Nemeth schüttelte nur den Kopf und wich einen Schritt vor ihr zurück. »Nein… mein Vater hatte Recht«, stammelte sie. »Du… du bist ein Dschinn! Ein böser Geist!«
»Unsinn«, widersprach Robin. »Ich bin kein Dschinn, nur eine ganz normale Frau.« Sie brauchte all ihre Kraft, um ihre Stimme wenigstens einigermaßen ruhig klingen zu lassen. Was sie in Nemeths Augen las, das schien ihr Herz wie ein glühender Messerstich zu durchbohren. Es war nackte Angst. Hatte sie jetzt auch noch das Vertrauen dieses Kindes verloren?
Wieder schüttelte Nemeth heftig den Kopf. »Mein Vater hatte Recht!«, beharrte sie. »Keine Frau auf der Welt kann so etwas!«
»Da, wo ich herkomme, können es alle Frauen«, behauptete Robin. Ihre Stimme wurde schärfer. »Komm jetzt! Wenn sie uns wieder einfangen, dann ist es auch um deine Mutter geschehen.«
Die Furcht stand Nemeth noch immer ins Gesicht geschrieben, als sie sich von ihrem Platz löste und auf Robin zutrat. Sie wich aber zugleich zur Seite, als Robin sie am Arm ergreifen wollte. Eine Geste, die sie empfindlich schmerzte.
Doch für ihren Schmerz hatte sie im Moment keine Zeit. In der Kammer hinter der offen stehenden Tür brüllte die unbekannte Frau nun lauthals, dass Mörder im Haus seien. Robin war klar, dass sie womöglich den allerletzten Rest von Vertrauen verspielte, den Nemeth ihr noch entgegenbrachte, aber sie hatte keine Wahl. Sie hob den Dolch auf, den der Bärtige ebenso wie die Öllampe fallen gelassen hatte (sie war zerbrochen, und brennendes Öl breitete sich in einer langsam größer werdenden Lache auf den hölzernen Dielen aus), kehrte ins dunkle Nebenzimmer zurück und ging auf die schreiende Frau zu, die jetzt vom flackernden Licht des um sich greifenden Feuers schemenhaft erhellt wurde. So hart sie konnte, packte sie die Frau bei der Schulter, presste sie aufs Bett zurück und setzte die Messerspitze an ihre Kehle.
»Ich will dich nicht töten, ich werde es jedoch tun, wenn du noch einen einzigen Laut von dir gibst«, sagte sie. »Said ist nichts geschehen, aber du musst ihn hier rausbringen. Euer Haus brennt. Und kein Wort, keinen Laut mehr, hast du das verstanden?«
Tatsächlich verstummte die Frau schlagartig. Robin konnte in der Dunkelheit nur ihre Augen erkennen, die von einer womöglich noch größeren Furcht erfüllt waren als die des Mädchens, aber es war eine Art von Furcht, die sie kannte. Die Frau würde nicht weiter schreien, sondern gehorchen.
Sie zog das Messer zurück und richtete sich auf. »Wir gehen jetzt«, sagte sie. »Bring deinen Mann in Sicherheit und versuch, das Feuer zu löschen. Danach kannst du meinetwegen um Hilfe rufen, so viel du magst.«
Sie kehrte zu Nemeth zurück, schob den Dolch unters Gewand und führte das Mädchen durch die Tür hinaus, durch die der Bärtige zuvor hereingekommen war. Dahinter lag eine steile hölzerne Treppe, die ins Erdgeschoss des Gebäudes hinabführte. Von draußen drangen Schreie und das Geräusch rascher Schritte herein und trotz der vorgelegten Fensterläden war der Raum von flackerndem rotem Licht zahlreicher Fackeln erfüllt.
Robin hoffte, dass sich nicht bald auch der lodernde Schein eines brennenden Hauses dazu gesellen würde. Sie bezweifelte, dass es der Frau gelingen würde, das Feuer ohne fremde Hilfe zu löschen. Bei einem sich eventuell ausbreitenden Brand konnten weitere Unschuldige zu Schaden kommen oder zumindest ihr Hab und Gut verlieren. Aber bei all der Schuld, die sie an diesem Abend schon auf sich geladen hatte, fiel das wohl kaum noch ins Gewicht, dachte sie bitter.
Um sich zu orientieren, blieb sie einen Herzschlag lang auf der letzten Stufe stehen. Die untere Etage des Hauses schien aus einem einzigen großen Raum zu bestehen - zumindest konnte sie nur eine Tür entdecken, die offensichtlich ins Freie führte. Die Möblierung war spärlich, um nicht zu sagen karg. Es gab einen Tisch und mehrere
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