Der Ring des Sarazenen
amüsiert auf, aber Robin fand dieses kleine Versehen nicht im Geringsten komisch. Ein Fehler wie dieser konnte sie draußen auf der Straße den Kopf kosten. Sie sah in ihrer Verkleidung ohnehin vermutlich ziemlich lächerlich aus und konnte nur darauf hoffen, dass draußen in den Gassen der Stadt mittlerweile genug Durcheinander herrschte, um ihr prüfende Blicke zu ersparen. Aber ein kleinwüchsiger Mann in einem viel zu großen Kaftan und einem Schleier vor dem Gesicht würde selbst dem dümmsten ihrer Verfolger auffallen. Mit einer zornigen Bewegung riss sie das unnütze Ding ab, bedankte sich mit einem wortlosen Nicken bei Nemeth und öffnete die Tür.
Schon der erste Schritt aus dem Haus wurde zur Nagelprobe für ihre Verkleidung. Sie hatte ihn noch nicht einmal ganz zu Ende gebracht, als eine Gestalt von links herangestürmt kam und so wuchtig gegen sie prallte, dass sie das Gleichgewicht verlor und schwer gegen den Türrahmen stürzte. Auch der andere strauchelte, fand mit einem hastigen Ausfallschritt jedoch seine Balance wieder und wirbelte wütend zu ihr herum. Robins Herz machte einen Sprung, als sie einen von Omars Kriegern erkannte.
»Pass doch auf, Dummkopf!«, schrie der Araber. Seine Augen flammten vor Wut, und einen kurzen, aber schrecklichen Moment war Robin davon überzeugt, dass er sie erkannt hatte. Dennoch zwang sie sich, seinem Blick Stand zu halten. Kaum einer von Omars Kriegern hatte jemals ihr Antlitz zu Gesicht bekommen und plötzlich spürte sie eine flüchtige Sympathie für die Sitten dieses Landes, die sie genötigt hatten, dem anderen Geschlecht nur verhüllt unter die Augen zu treten.
Genau das rettete sie jetzt. Nach einem letzten wütenden Blick wandte sich der Mann ab und rannte weiter. Robin richtete sich vorsichtig am Türrahmen wieder auf und atmete erleichtert aus. Sie spähte aufmerksam nach rechts und links, bevor sie zum zweiten Mal dazu ansetzte, das Haus zu verlassen.
Die Gasse, die kaum breiter als einen Meter war und auf der gegenüberliegenden Seite von einer gut sechs Meter hohen Wand begrenzt wurde, war leer, aber an beiden Enden erkannte sie flackernden roten Feuerschein und zahlreiche, hin und her hastende Gestalten. Sie versuchte noch einen Moment lang, sich zu orientieren, musste sich dann aber eingestehen, dass sie nicht die geringste Ahnung hatte, welche Richtung sie nun einschlagen sollte. Vermutlich war das sowieso egal. Sie ergriff Nemeths Hand und ging so schnell wie möglich, ohne wirklich in einen Laufschritt zu verfallen. Das Mädchen sah mehrfach verstört zu ihr hoch, aber es schien jetzt wenigstens seine Angst vor ihr verloren zu haben.
»Wohin gehen wir?«, fragte Nemeth nach einer Weile.
»Still!«, zischte Robin. Nach einem Moment und leiser fügte sie hinzu: »Ich weiß es noch nicht. Erst einmal weg hier. Irgendwohin, wo es ruhiger ist. Vielleicht aus der Stadt heraus.«
»Aber du hast versprochen…«
»Wir werden deine Mutter holen«, unterbrach sie Robin. »Aber das können wir nicht, wenn sie uns vorher erwischen, verdammt noch mal!«
Nemeth erwiderte nichts, und Robin hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Die Worte hatten ihr schon Leid getan, noch ehe sie sie ganz ausgesprochen hatte. Wollte sie es diesem Kind wirklich verdenken, dass es verunsichert war und ihr nicht mehr traute?
Dann hatten sie das Ende der Gasse erreicht. Vor ihr lag ein weiterer, an drei Seiten von dicht stehenden Häusern begrenzter Platz, auf den gleich ein halbes Dutzend Straßen hinausführte. Das Durcheinander war unbeschreiblich. Hunde kläfften und knurrten, dass einem das Blut in den Adern gefror. Robin hörte das Klirren von Waffen, das wütende Geschrei von Männern sowie hektischen Hufschlag, und gerade als sie aus der Gasse heraustrat, sprengte ein Trupp von vier Reitern auf den Platz heraus, angeführt von Omar Khalid selbst und seinem ganz in Schwarz gekleideten Leibwächter.
Der martialische Auftritt des Sklavenhändlers ließ die Stimmung überkochen. Weder Omar noch seine Begleiter schienen geneigt, auch nur die geringste Rücksicht auf die Menschen vor ihnen zu nehmen. Robin musste mit ansehen, wie zwei Männer nicht schnell genug zur Seite sprangen und einfach niedergeritten wurden, doch dann blieben die Pferde hoffnungslos in der Menschenmenge stecken. Schmerzensschreie gellten auf. Eines der Tiere stieg mit einem schrillen Wiehern auf die Hinterbeine und warf seinen Reiter ab. Einer der beiden Sklaven, die mittlerweile
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