Der Ring des Sarazenen
keine andere Wahl mehr lässt…»
Robin fuhr ein eisiger Schauer über den Rücken. Sie fürchtete sich nicht vor Naida. Schon mehr als einmal war sie in Lebensgefahr gewesen und die meisten der Gegner, deren sie sich hatte erwehren müssen, waren keine hilflosen, kranken alten Frauen wie Naida gewesen. Aber was sie erschauern ließ, war dieser aus Furcht geborene Hass.
»Jetzt komm!«, befahl Naida. »Mein Herr hat darauf bestanden, dich in seinem eigenen Gemach zu empfangen. Und vergiss meine Worte nicht. Ich werde dich im Auge behalten.«
Zutiefst verwirrt folgte Robin der alten Sklavin auf den Flur hinaus. Naida hatte ihr Zimmer allein betreten, draußen aber wurden sie von Omars ganz in Schwarz gekleidetem Leibwächter Faruk empfangen. Der Anblick hatte schon fast etwas Vertrautes und dennoch musterte Robin den hünenhaften Krieger mit neuem Interesse. Der schwarz gekleidete Araber, der sie im Auftrag Sheik Raschid es-Din Sinans hatte erwerben wollen, war deutlich kleiner und von schmalerem Wuchs als Faruk gewesen, aber dieser Hüne hielt keinem Vergleich mit Arslan stand. Den Assassinen hatte eine fast körperlich spürbare Aura umgeben, als trüge er über seinem schwarzen Kaftan einen zweiten unsichtbaren Umhang des Unheimlichen und der Bedrohung.
Der Krieger und Naida führten sie die Treppe hinab in einen Teil des weitläufigen Gebäudes, in dem sie noch nie gewesen war. Die sauber verputzten Wände waren mit einer Unzahl von Wandteppichen und Bildern, aufgehängten Waffen, Fahnen und Schilden verziert und der Boden war ein kunstvolles Mosaik, auf dem jeder ihrer Schritte ein helles Echo hervorrief. Omars Zimmer lag ganz am Ende des Flures, in den sie geführt wurde. Faruk trat zur Seite und nahm mit vor der Brust verschränkten Armen neben der Tür Aufstellung; ein sicherer Hinweis darauf, dass er nicht mit hineingehen würde. Aber Naida eilte voraus und öffnete die Tür, ohne sich die Mühe zu machen, anzuklopfen. Da Robin ihr keine Gelegenheit geben wollte, sie wieder anzufahren, beeilte sie sich, der alten Sklavin zu folgen.
Sie hatte eine prachtvolle Einrichtung erwartet, weißen Marmor mit sprudelnden Zimmerspringbrunnen und goldenen Möbeln; wie in einem jener Märchenpaläste, von denen Salim ihr so oft erzählt hatte. Der Raum, in dem sie sich befand, war jedoch deutlich kleiner als Robins eigenes Zimmer eine Etage höher. Im Gegensatz zu diesem waren seine Fenster vergittert und der einzige Schmuck an den Wänden war eine riesige Sammlung von Dolchen, Säbeln und verschieden geformten Schilden. Auf dem Boden lag ein dicker, kunstvoll geknüpfter Teppich, unter dessen Rändern das gleiche kostbare Mosaik wie draußen sichtbar wurde, und die Möblierung war zwar spärlich, aber von erlesenem Geschmack. Direkt neben der Tür stand eine große Truhe aus dunklem Holz mit Einlegearbeiten aus Muschelkalk, vielleicht auch Perlmutt. Von der Decke hing eine große Lampe aus Messing mit mehreren Armen, die in brennenden Dochten endeten. Ein angenehm warmes Licht erfüllte den Raum.
Omar saß auf dem Boden auf einem Lager aus Kissen. Er lehnte mit dem Rücken an der Wand, und seitlich von ihm stand ein niedriges Tischchen, auf dem Robin eine Schale mit getrockneten Datteln erblickte. Der Anblick ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Sie hatte seit der misslungenen Versteigerung weder etwas zu essen noch zu trinken bekommen und vor lauter Aufregung auch vorher den ganzen Tag über praktisch nichts gegessen. Entsprechend groß war ihr Hunger. Ihr Magen knurrte hörbar, und Robin spürte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg.
Naida fuhr herum und funkelte sie an, als hätte sie ein todeswürdiges Verbrechen begangen, aber noch bevor sie etwas sagen konnte, brachte Omar sie mit einer raschen Geste zum Schweigen und deutete aus der gleichen Bewegung heraus auf das freie Kissen neben sich. Er machte sich nicht die Mühe, den Kopf zu wenden, um Robin anzusehen, und als sie - Naidas hasserfüllte Blicke nicht beachtend - zu ihm ging, um seiner Aufforderung Folge zu leisten, sah sie, dass seine Augen geschlossen waren. Auf seinem Gesicht lag ein so entspannter, ruhiger Ausdruck, wie sie ihn bisher selten darauf gesehen hatte.
»Bedien dich, Kind«, sagte er, nachdem sie Platz genommen hatte.
»Bist du hungrig?«
Robin hob nur die Schultern - obwohl Omar die Bewegung nicht sehen konnte, war sie sicher, dass er sie wahrnahm -, aber sie musste sich zugleich beherrschen, um nicht gierig nach den
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