Der Ring des Sarazenen
ebenfalls auf ein Kamel gestiegen und hatte das Pferd am Zügel neben sich hergeführt. Zwei- oder dreimal hatten sie angehalten und gewartet, bis die Flanken des Tieres aufhörten zu zittern und von seinen Nüstern kein schaumiger Schweiß mehr tropfte.
Nach der Erbarmungslosigkeit, mit der Harun vor zwei Tagen befohlen hatte, die Gefangenen zu töten, war es Robin fast absurd vorgekommen, dass sich dieser riesige, harte Mann so sanft und mitfühlend um sein Pferd kümmerte wie eine Mutter um ihr Kind. Aber sie hatte ihn nicht darauf angesprochen, und auch Harun hatte es während der gesamten Reise bei ein paar Belanglosigkeiten und einem gelegentlichen Lächeln belassen. Ihre bohrenden Fragen nach dem Ring, seiner Bedeutung und vor allem seiner Herkunft hatte er ebenso übergangen wie ihre Bitte, sich um Nemeth und ihre Mutter kümmern zu dürfen. Die beiden gehörten, ebenso wie Omar, zu den Nachzüglern der Karawane, die nun das Dorf erreichten. Robin war die ganze Zeit über streng von ihnen getrennt worden und hatte auch während der Nacht in einem eigenen Zelt geschlafen, das von drei schweigsamen Assassinenkriegern bewacht wurde.
Sie fragte sich, was aus den anderen Männern geworden war. Am Abend des ersten Tages ihrer Reise hatten sie sich aufgeteilt. Die wenigen Pferde, die noch überlebt hatten, die Verwundeten sowie fast die Hälfte der unverletzt gebliebenen Krieger waren am Rande eines ausgetrockneten Wadis zurückgeblieben, damit Männer und Tiere wieder zu Kräften kommen konnten. Doch Robin versuchte vergeblich eine Antwort auf die Frage zu finden, wie sie sich erholen sollten, ohne Schatten, ohne ausreichendes Wasser, ohne Hilfe. Keiner der Männer hatte aufbegehrt, es auch nur gewagt, zu murren oder missbilligend zu blicken, als der Alte vom Berge ihnen seine Entscheidung mitteilte, aber sie war ziemlich sicher, dass die meisten von ihnen wussten, dass sie zurückgelassen wurden, um zu sterben. Vielleicht würde Harun ja einen Trupp mit frischen Tieren, Wasser und Verpflegung zu ihnen schicken, sobald sie die geheimnisvolle Bergfestung der Assassinen erreicht hatten. Aber irgendwie glaubte sie nicht daran.
»Ich habe Durst«, beschwerte sie sich.
Harun, der wie üblich nur ein Stück neben ihr ritt, löste seinen Wasserschlauch vom Sattel und schwenkte ihn bedauernd hin und her. Er war leer. »Es tut mir Leid, meine Wüstenrose«, sagte er.
»Diesmal kann ich dir mein Wasser nicht geben. Aber der Weg ist nicht mehr weit.«
Robin fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, die noch rissiger und trockener waren als zwei Tage zuvor. Wenn sie sein Ende lebend erreichen wollten, durfte der Weg nicht mehr weit sein. Haruns Plan, seine Männer ihre Pferde zuschanden reiten zu lassen, um mit Omars Kamelen und seinen Wasservorräten an ihr Ziel zu gelangen, mochte grausam und unmenschlich, aber auch klug ausgedacht gewesen sein. Und er wäre sicherlich auch aufgegangen, wären sie nicht in den Sandsturm geraten, wo ein großer Teil ihres Wasservorrats verloren gegangen war. Die Hälfte davon hatte Harun obendrein den Männern gelassen, die in der Wüste zurückgeblieben waren. Robin hatte am Abend zuvor den letzten Schluck Wasser getrunken, und den anderen erging es vermutlich noch schlimmer. Vielleicht hatte das Schicksal in einem Akt besonders schwarzen Humors ja vor, sie am Ende dieses schrecklichen Weges doch noch verdursten zu lassen.
»Und wenn nicht?«, murmelte sie. »Versprichst du mir etwas, Harun?«
»Was immer du willst, Tochter der Morgenröte«, antwortete Harun.
»Falls wir verdursten, verrätst du mir dann vorher endlich, was du mit mir vorhattest?«
Harun lachte. Es klang böse, obwohl es vermutlich nicht seine Absicht war, denn auch seine Kehle war ausgedörrt und rau. »Nun, immerhin bist du mein Eigentum«, sagte er. »Und ich denke, dass ein Mann für eine so hübsche und vielseitige junge Frau, wie du es bist, immer eine Verwendung findet. Auch wenn sie nur eine Ungläubige ist.« Er lachte wieder und diesmal klang es sogar ehrlich amüsiert.
»Aber so weit wird es nicht kommen. Wir sind fast da. Siehst du?« Robin zwang sich, den Kopf zu heben und den Blick seinem ausgestreckten Arm folgen zu lassen. Das vor ihnen liegende Bergdorf bestand nur aus einer Hand voll Häuser, und die Sonne stand senkrecht über dem Tal, sodass es einen Moment dauerte, bis sich ihre Augen an das grelle Gegenlicht gewöhnt hatten. Dann aber begriff sie, was Harun ihr zeigen wollte.
Über
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