Der Ring des Sarazenen
ihnen lag Masyaf, die Festung der Assassinen. Sie erhob sich auf dem kahlen, nahezu unbesteigbaren Felsen unmittelbar über dem Dorf. Mit ihren hohen, verwinkelten Mauern sowie den vorspringenden Türmen und Erkern beherrschte sie das Tal in weitem Umkreis. Sie war aus hellem Sandstein gebaut und Banner aus schwarzem Tuch, ohne irgendein Emblem, wehten über ihren Zinnen. Trotz der hellen Farbe des Steins wirkte sie düster und bedrohlich, und Robin musste unwillkürlich an das Märchen vom Kalifen Hisham denken, das Omar ihr erzählt hatte. Auch seine Reiter hatten schwarze Banner getragen. Auch seine Festung hatte das Land in weitem Umkreis beherrscht.
Unwillkürlich drehte sie sich auf dem Rücken ihres Kameles herum und versuchte, einen Blick auf Omar zu erhaschen. Er war fast ans Ende der Karawane zurückgefallen. Noch aus dieser großen Entfernung konnte sie sehen, wie blass und kraftlos er auf dem Sattel hin und her schwankte.
Robin hatte trotz der Abschirmung durch die Assassinen mitbekommen, dass er die Nacht zuvor starkes Fieber bekommen hatte. Sie hoffte, dass es auf der Festung einen Heilkundigen gab, der sich um ihn kümmerte. Aber sie wusste auch, dass sie sich jede entsprechende Frage an Harun sparen konnte.
»Warum bitten wir nicht die Leute hier um Wasser?«, fragte sie.
»Schließlich seid Ihr doch ihr Scheich, oder etwa nicht?«
Harun nickte. »Sheik Sinan, der Alte vom Berge, das ist richtig«, antwortete er mit sonderbarer Betonung. »Und eben darum werde ich diese Menschen hier nicht um Hilfe bitten. Ich dachte, dass du das verstehst.«
Das tat Robin sogar. Sie hätte sich im Gegenteil gewundert, wäre Harun auf die Idee gekommen, die Karawane anhalten zu lassen, damit die halb verdursteten Menschen und Tiere endlich Wasser bekamen. Harun war nicht nur irgendein Herrscher, sondern nach allem, was sie bisher gesehen und gehört hatte, ein Mann, dessen Macht vor allem durch seinen Ruf begründet war - und darauf, dass ihn die Menschen eher für einen Geist als für einen Menschen hielten. Schon sein Stolz musste es ihm verbieten, um Hilfe zu bitten.
Aber Stolz war eine sonderbare Sache. Manchmal konnte er hilfreich sein, meistens aber war er einfach hinderlich - und in diesem Fall sogar lebensgefährlich. Auch wenn sie wusste, dass Entfernungen im sonderbaren Licht dieses Landes manchmal täuschten, konnte es nicht mehr weit bis zur Festung hinauf sein; vielleicht eine halbe Stunde, wahrscheinlich weniger. Und dennoch war sie nicht sicher, ob alle Männer diese letzte Etappe ihrer Flucht vor der Wüste durchstehen würden.
Der Anblick der Bergfestung war ihr unheimlich, und sie riss den Blick davon los, um die Dorfbewohner, die ihnen entgegengekommen waren, zu mustern. Es waren nicht viele und die meisten von ihnen waren Kinder; überraschend viele Kinder, wenn man in Betracht zog, dass das Dorf aus kaum mehr als zwei Dutzend, noch dazu recht kleiner, gedrungener Häuser bestand, die sich regelrecht schutzsuchend in den Schatten der düsteren Burg duckten. Robin schätzte, dass es mindestens dreißig Jungen und Mädchen waren, die ihnen johlend entgegengelaufen kamen, den abgekämpften Reitern zuwinkten oder ihnen Scherzworte zuriefen. Andere wieder standen einfach nur da und musterten neugierig die schweigende Karawane abgekämpfter Gestalten. Nicht auf einem einzigen Gesicht entdeckte sie Furcht, nur Neugier oder auch Freude über die Abwechslung, und ihr fiel auch auf, wie wohlgenährt, sauber und gut gekleidet die Kinder ausnahmslos waren. Ganz und gar nicht das, was sie am Fuße von Masyaf erwartet hätte, der Felsenfestung des Alten vom Berge und seiner Assassinen, um die sich so viele düstere Legenden und blutige Geschichten rankten.
Auch das Dorf selbst machte einen erstaunlich gepflegten, ja wohlhabenden Eindruck. Die Häuser, obwohl klein, waren in gutem Zustand und umgeben von Obstgärten mit weiß blühenden Aprikosenbäumen, bunten Ziersträuchern und Granatapfelbäumen. Es gab gleich zwei Brunnen, die den Ort und die ihn umgebenden Felder mit ausreichend Wasser versorgten, und am Wegesrand grasten Ziegen. Ein kurzes Stück des Weges folgte ihnen ein Trupp struppiger, aber gut genährter Hunde, die die Kamele und ihre Reiter nicht aus Hunger, sondern vermutlich aus purer Langeweile verfolgten und währenddessen ständig ankläfften.
Die Luft war geschwängert von Blütenduft sowie von einem anderen, leicht süßlichen Aroma, das Robin von irgendwoher bekannt vorkam, ohne
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