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Der Ring des Sarazenen

Der Ring des Sarazenen

Titel: Der Ring des Sarazenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dass sie es genau hätte einordnen können. Neben den Kindern waren auch einige Erwachsene aus den Häusern getreten, doch im Gegensatz zu diesen versuchte niemand, sich der Karawane zu nähern oder einen der Männer anzusprechen. Sie kamen keinem Haus nahe genug, dass sie die Gesichter dieser Menschen wirklich in Ruhe hätte mustern können, und doch hatte sie das Gefühl, dass die Blicke dieser Menschen ihnen zwar durchaus freundlich, zugleich aber auch mit einer gewissen Reserviertheit folgten. Sheik Sinan, dachte sie, war mit Sicherheit kein unbeliebter Herrscher, ebenso wenig wie einer, der die Nähe zu seinen Untertanen suchte.
    Quälend langsam zog das Dorf an ihnen vorüber. Robin musste all ihre Willenskraft aufbieten, um nicht einfach aus dem Sattel zu springen und loszurennen, als sie einen der beiden Brunnen passierten und sie das frische Wasser sah, mit dem der darüber hängende Eimer gefüllt war. Sie nahm an, dass das Oberhaupt der Assassinen sie vermutlich nicht einmal daran hindern würde, aber er würde es als ein Zeichen von Schwäche auslegen, und noch war Robins Stolz stärker als ihr Durst.
    Wie schon etliche Male in ihrem Leben verfluchte sie sich schon bald für ihre eigene Tapferkeit. Vom Dorf bis zu dem steinigen, steilen Pfad, der zum eigentlichen Tor der Festung hinaufführte, war es noch eine gute Viertelstunde. Er war so schmal, dass er nur für jeweils ein Kamel oder einen Reiter Platz bot, und wand sich in zahllosen, scheinbar vollkommen willkürlichen und sinnlosen Kehren und Serpentinen den sandfarbenen Felsen hinauf. An einigen Stellen wurde er von aus kräftigen hölzernen Balken gezimmerten Brücken unterbrochen, unter denen steile und scheinbar bodenlose Schlünde aufklafften. Manchmal war die Neigung so stark, dass selbst eine Bergziege Mühe gehabt hätte, den Pfad zu erklimmen; wie Haruns Pferd oder gar die Kamele die Wegstrecke schafften, blieb Robin ein Rätsel.
    Sie hatte es aufgegeben, das Verstreichen der Zeit schätzen zu wollen. Vielleicht dauerte es nur wenige Minuten, vielleicht doch eine halbe Ewigkeit, ehe sie den kleinen Absatz erreichten, hinter dem das eigentliche Tor lag. Sie hatte erwartet, dass ihnen Diener oder zumindest Wachen entgegeneilten, doch die Festung wirkte auch aus der Nähe betrachtet ebenso gespenstisch und unheimlich wie von weitem.
    Kein Mensch zeigte sich. Niemand rief ihnen ein Willkommen zu. Selbst das beständige Heulen des Windes, der sich an zahllosen Felsvorsprüngen und Graten brach und sie den ganzen Weg hier heraufbegleitet hatte wie ein Chor verdammter Seelen, schien verstummt. Doch als sich Harun dem geschlossenen Tor näherte, erscholl ein einzelner hoher Glockenton, und die beiden wuchtigen Flügel öffneten sich vor ihnen, wie von Geisterhand bewegt.
    Dahinter lag kein Hof, sondern ein halbrunder hoher Tunnel, der offensichtlich direkt aus dem gewachsenen Fels herausgemeißelt war.
    Harun glitt vor ihr aus dem Sattel. Seine Bewegungen waren noch immer kraftvoll, obgleich sie viel von ihrer Eleganz und Leichtigkeit eingebüßt hatten, - ein Anblick, der Robin eigentlich mit grimmiger Befriedigung hätte erfüllen müssen. In den letzten Tagen hatte sie sich mehr als einmal allen Ernstes gefragt, ob dieser Mann nicht tatsächlich etwas von einem Dschinn an sich hatte, denn seine Kräfte schienen im wahrsten Sinne des Wortes unerschöpflich. Als sie ihn jetzt beobachtete, bedrückte es sie nur noch mehr, denn er machte ihr klar, in welch bemitleidenswertem Zustand sie alle sich befanden. Sie gestand sich ein, dass sie selbst zu müde war, um noch Hass zu empfinden.
    »Steig ab«, befahl Harun. Er streckte den Arm aus, um ihr zu helfen. Aber Robin schüttelte nur trotzig den Kopf, schwang das rechte Bein über den Sattel und versuchte, vom Kamel abzuspringen, noch ehe das Tier sich niederließ.
    Vollkommen entkräftet, verlor sie den Halt, kippte nach vorne und wäre auf den harten Felsboden gestürzt, hätte Harun sie nicht aufgefangen. Sorgsam stellte er sie auf die Beine und ließ seine gewaltigen Hände auf ihren Hüften liegen, bis er sich mit einem fragenden Blick in ihre Augen davon überzeugt hatte, dass sie aus eigener Kraft stehen konnte.
    »Wir kennen uns jetzt lange genug, Robin«, sagte er. »Du musst mir nicht beweisen, wie tapfer du bist.«
    Tapfer! Robin hätte gelacht, hätte sie noch die Kraft dazu gehabt. Nein, sie war nicht tapfer. Hätte sie auch nur noch einen Funken wirklichen Muts in sich gehabt, dann hätte

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