Der Ring des Sarazenen
gewesen waren. Ihr Zeitgefühl war so gründlich durcheinander geraten wie ihr gesamtes Leben. Wahrscheinlich hatte ihre erste Wegetappe nur wenige Stunden gedauert. Schließlich waren sie erst am späten Nachmittag aufgebrochen und nach allem, was sie von Salim erfahren hatte, schlugen Karawanen spätestens drei Stunden nach Einbruch der Dunkelheit ihr Lager auf. Dennoch kam es Robin so vor, als wären Ewigkeiten vergangen.
Im Inneren des Wagens war es nicht ganz so dunkel, wie es ihr im ersten Moment erschienen war. Obwohl der Aufbau des Karrens aus stabilen Brettern gezimmert und rundherum geschlossen war, gab es genug Ritzen und Spalten, durch die Sonnenlicht hereinsickerte. So ließ sich zumindest feststellen, ob draußen noch Tag war oder bereits Dämmerung herrschte.
Schon nach kurzer Zeit war es in dem fensterlosen Verschlag unerträglich warm geworden und bis zum Abend hatte sich ihr Durst zu schier unerträglicher Qual gesteigert. Robin hatte eine Zeit lang mit den Fäusten gegen die geschlossene Tür gehämmert, geschrien und sogar versucht, das Schloss aufzutreten, aber das einzige Ergebnis ihrer Bemühungen waren neue, blutige Schrammen an ihren Händen und eine schmerzende Kehle. Lange bevor die Karawane wieder anhielt, lag sie zusammengekrümmt in einer Ecke des kleinen Verschlages und ihr Widerstand war an Durst, Fieber und Schüttelfrost gebrochen, die einander abwechselten.
Zuletzt fühlte sie sich elender als an dem Morgen, an dem sie in dem Zelt am Strand erwacht war. Sie war so geschwächt, dass sie im ersten Moment nicht einmal bemerkte, dass die Tür ihres Gefängnisses geöffnet wurde. Erst als ein frischer Windhauch über ihr Gesicht strich und ihre glühende Stirn kühlte, öffnete sie die Augen und blinzelte in das schwach erhellte Rechteck der Tür. Sie sah einen vagen Schemen, hinter dem ein einzelner heller Stern am Nachthimmel glühte. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, ihn eigentlich erkennen zu müssen, aber ihre Gedanken bewegten sich nur träge. Es dauerte noch einige Augenblicke, bis sie den Umriss des Mannes erkannte, der sie hierher gebracht hatte.
»Wasser.«
Dieses eine Wort von den Lippen ihres Peinigers reichte aus, um Robins letzte Kräfte zu wecken. Mühsam richtete sie sich auf, kroch auf Händen und Knien zur Tür und wollte nach der Schale greifen, die er ihr hinhielt. Doch der Sklavenhändler zog die Hand rasch zurück und schüttelte den Kopf.
»Wirst du vernünftig sein?«, fragte er ruhig.
Robin war so durstig, dass sie ihm ohne zu zögern für einen einzigen Schluck Wasser ihre Seele versprochen hätte. Dennoch antwortete sie nicht gleich, sondern sah ihn nur verständnislos an, während sie sich mit der Zunge über die trockenen, rissigen Lippen fuhr. Es nutzte nichts. Auch ihre Zunge war so trocken wie das öde Hügelland, das sich hinter dem Schatten des Kriegers abzeichnete. Schließlich nickte sie.
Der Sklavenhändler sah sie noch einen Moment lang durchdringend und auf eine Art an, als wäre er nicht vollends von Robins Ehrlichkeit überzeugt, aber dann hielt er ihr die Schale hin. Sie riss sie ihm regelrecht aus den Händen und stürzte das Wasser mit großen, gierigen Schlucken herunter. Es war warm und hatte einen sonderbar bitteren Beigeschmack, aber in diesem Moment kam es ihr wie das Köstlichste vor, das sie jemals getrunken hatte. Sie leerte die Schale vollkommen und leckte auch noch den winzigsten Tropfen von ihrem Boden auf, ehe sie sie ihrem Gegenüber hinhielt. »Mehr«, verlangte sie mit rauer Stimme.
Er nahm die Holzschale entgegen, schüttelte aber den Kopf. »Das wäre nicht gut«, sagte er. »Du bekommst mehr, aber nicht sofort. Wenn du zu schnell trinkst, wird dir nur schlecht. Hast du Hunger?«
Robin nickte wortlos. Sie war enttäuscht. Sie hatte immer noch furchtbaren Durst, aber vermutlich hatte er Recht mit seiner Warnung. Mühsam kletterte sie aus dem Wagen und hielt sich einen Moment lang mit der Hand am Türrahmen fest, bis sie sich sicher war, dass sie aus eigener Kraft stehen konnte. Die Nachtluft, die ihr gerade so herrlich erfrischend vorgekommen war, erschien ihr nun eisig. Zitternd schlang sie die Arme um den Leib. Die Nachmittagsstunden über hatten in dem Wagen Temperaturen wie im Inneren eines Backofens geherrscht. Die Hitze hatte Robin alle Kraft geraubt, die sie in den letzten anderthalb Tagen zurückgewonnen hatte. Einen Gutteil der Zeit, die sie eingesperrt gewesen war, hatte sie damit zugebracht, die
Weitere Kostenlose Bücher