Der Ring des Sarazenen
verschiedensten Fluchtpläne zu schmieden, aber schon der erste Schritt, den sie nun tat, machte ihr klar, dass eine Flucht jetzt noch weniger möglich war als während ihrer Zeit im Fischerdorf. Es gelang ihr nur unter Aufbietung all ihrer Willenskraft, mit ihrem Begleiter Schritt zu halten, obwohl dieser sehr langsam ging und sogar ein paar Mal stehen blieb, um ihr Gelegenheit zu geben, wieder zu ihm aufzuholen.
Das Verhalten des Arabers irritierte sie. Er hatte keinen Zweifel daran gelassen - weder mit Worten noch mit Taten -, dass er in ihr nichts anderes als seinen Besitz sah.
Etwas, das er gekauft hatte und mit dem er nach Gutdünken verfahren konnte. Und doch erschien er ihr rätselhaft. Bisweilen behandelte er sie grob wie ein Tier und dann war er wieder rücksichtsvoller als mancher so genannte Edelmann in ihrer Heimat.
Der Sarazene führte sie zu einem Feuer, das in der Mitte des in einer tiefen Senke aufgeschlagenen Lagers brannte, und wies ihr mit einer flüchtigen Geste einen Platz zu. Robin gehorchte wortlos. Sie sah nur einen Teil der Männer, die sie am Nachmittag gezählt hatte; vielleicht fünf oder sechs. Sie saßen in weitem Kreis um das Feuer herum und beobachteten sie mit teils interessierten, teils aber auch lüsternen Blicken. Robins Arabisch reichte nicht aus, um die halblauten Worte zu verstehen, die sie austauschten. Aber sie begriff sehr wohl die Bedeutung des rauen Lachens und der Gesten, die diese Worte begleiteten. Fast angstvoll sah sie sich nach dem Sklavenhändler um. Nicht, dass er sie gut behandelt hätte, aber zumindest hatte er ihr nichts angetan. Sie glaubte zu wissen, dass er ihr auch weiterhin nichts tun würde, wenn auch vielleicht aus anderen Gründen, als ihr lieb sein konnte.
Der Krieger hatte sich kurz entfernt, jetzt kam er zurück und reichte ihr eine weitere Schale mit Wasser sowie etwas Obst und trockenes Fladenbrot. Eingedenk seiner Warnung trank sie nur wenige Schlucke, obwohl sich ihre Kehle noch immer ausgedörrt anfühlte und sie die Schale am liebsten in einem Zug geleert hätte. Dann begann sie zu essen. Schon nach dem ersten Bissen bemerkte sie, wie hungrig sie war. Wie zuvor mit dem Wasser, so musste sie sich jetzt beherrschen, das Obst nicht hinunterzuschlingen und die wertvolle Nahrung mit beiden Händen in sich hineinzustopfen. Selbst als sie ihr Mahl beendet hatte, wollte ihr Hunger nicht weichen. Ihr Magen knurrte hörbar, was den Sklavenhändler zu einem flüchtigen Lächeln veranlasste. Sie sah ihn bittend an, erntete jedoch nur das erwartete Kopfschütteln. Sie war nicht wirklich enttäuscht. Sie hatte oft genug in ihrem Leben gehungert, um zu wissen, dass sich das Sättigungsgefühl erst nach einer Weile einstellen würde. Die Früchte, die er ihr gegeben hatte, waren Robin zum größten Teil unbekannt. Sie waren so süß und köstlich, dass sie sich fragte, ob sie wohl aus den paradiesischen Gärten stammten, von denen ihr Salim so gerne erzählt hatte.
»Du bekommst morgen mehr, bevor wir weiterziehen«, sagte er. Plötzlich lächelte er. »Entschuldige, doch in dieser rauen Gesellschaft hier haben meine Manieren gelitten.« Er deutete eine knappe Verbeugung an. »Mein Name ist Omar Khalid ben Hadschi Mustapha Khalid.«
Robin entschied, dass sie jetzt nicht in der Verfassung war, sich den ellenlangen blumigen Namen eines Heiden zu merken. »Wohin… bringt Ihr mich?«
Omars Gesicht verdüsterte sich für einen Moment, als hätte sie eine Frage gestellt, die ihr nicht zustand. Dann aber schüttelte er den Kopf und sagte: »Nach Hama.« Er deutete auf die dunklen Schatten der Berge. »Eine Stadt im Osten, jenseits des Djebel el-Alawia. Wenn alles gut geht, erreichen wir sie in vier Tagen. Hinter den Bergen erwartet uns noch ein Wüstenstreifen. Wir werden ihn im Licht der Sterne durchqueren und dann im Morgengrauen die Gärten von Hama erreichen.«
Robin hatte diese Namen noch nie gehört. Aber was bedeutete das schon? Sie kannte nur die Namen weniger großer Städte in diesem Teil der Welt, und sah man vielleicht von Jerusalem, Akko und Damaskus ab, so wusste sie außer den Namen nichts von diesen Orten.
»Wie heißt du?«, fragte der Sklavenhändler.
»Robin«, antwortete sie knapp.
»Und wie alt bist du?«
Mit der Antwort auf diese Frage tat sich Robin schwer. Sie hatte nicht gelernt, auf Arabisch zu zählen, und so nahm sie nach kurzem Überlegen die Finger zu Hilfe und bedeutete ihm, dass sie sechzehn war - was möglicherweise der
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