Der Ring des Sarazenen
sie ganz ähnlich gekleidet wie Robin - in eine weite, halb durchsichtige Hose, dazu ein Oberteil, das ihren Bauch bis dicht unter die Brüste frei ließ. Schmale goldene Fußkettchen mit winzigen Glöckchen umschmeichelten ihre Fesseln und klingelten bei jedem ihrer Schritte leise. Robin konnte ihr Gesicht noch immer nicht erkennen, denn unter dem schwarzen Schleier trug sie einen Gesichtsschmuck aus Hunderten hauchzarter Goldplättchen, die auf ein Seidentuch genäht waren, das ihr Antlitz vollständig verhüllte. Man sah lediglich ihre großen, dunklen Augen, die jetzt von einer sinnlichen Glut erfüllt waren, die in Robin abermals ein absurdes Gefühl von Neid aufsteigen ließ.
»Zeig es ihr noch einmal, Aisha«, sagte Harun kopfschüttelnd.
Das Gefühl des Neides verstärkte sich noch, als sich die Araberin erneut bewegte. Ihr sanfter, wiegender Hüftschwung rief in Robin die Erinnerung an die viel zu seltenen und viel zu lange zurückliegenden Stunden mit Salim wach, an die einzige Zeit in ihrem Leben, in der sie wirklich glücklich gewesen war. Die Füße der Araberin schienen kaum den Boden zu berühren, und sie strahlte eine beinahe beunruhigende Sinnlichkeit aus.
»So, so«, sagte Harun herablassend. »Herumzustehen wie eine vom Sturmwind gebeugte Dattelpalme, das ist also deine natürliche Haltung, wie? Oder hast du erst üben müssen, um solch ein jämmerliches Bild abzugeben?« Er wartete vergeblich auf eine Antwort. Robin war ganz darin vertieft, Aisha anzustarren. Schließlich fügte er hinzu: »Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du genauso einherschreiten wie sie.«
Harun klatschte in die Hände, woraufhin die Tür aufgerissen wurde. Einer von Omars Kriegern trat ein - nicht Faruk, der schwarz gekleidete Riese, der normalerweise dort Wache hielt - und Harun befahl ihm mit unangebrachter Schärfe in der Stimme, einige Tonkrüge mit Wasser heraufzuschaffen.
»Wasser?« Robin sah den dunkelhäutigen Araber misstrauisch an.
»Wollt Ihr mir jetzt auch noch erzählen, dass ich stinke?« Diesmal enthielt sich Harun einer Antwort.
Robin hatte ein ungutes Gefühl. Etwas an diesem sonderbaren alten Mann, der sich alle Mühe zu geben schien, auch bestimmt von niemandem ernst genommen zu werden, erregte ihr Misstrauen. Sie konnte nicht sagen, was es war. Vielleicht war es nur die Art, wie Aisha ihn manchmal ansah, vielleicht auch eine unsichtbare Aura, die ihn umgab und sein scheinbar so harmloses Auftreten und lächerliches Äußeres Lügen zu strafen schien. Robin verzichtete darauf, ihre Frage zu wiederholen. Sie maß Harun mit einem Blick, von dem sie hoffte, dass er einigermaßen selbstbewusst und herausfordernd wirkte. Doch selbst damit entlockte sie dem Alten nur ein schwer zu deutendes Stirnrunzeln. Schließlich drehte sich Robin herum, trat wieder ans Fenster und blickte erneut in den Hof hinab.
Die Sonne war immer noch nicht ganz aufgegangen, aber in wenigen Minuten würde der Tag vollends anbrechen. Über dem Hof lag ein wunderbares goldenes Licht, wie sie es in diesem Teil der Welt schon öfter hatte bewundern können. Dennoch galt ihr Blick nicht der prächtigen Stadt, die sich entlang der Ufer des Orontes erstreckte, sondern dem kranken Jungen. Sie wusste nicht, warum, aber sie hatte mehr und mehr das Gefühl, dass sein Schicksal ganz allein in ihrer Hand lag.
Es verging einige Zeit, in der Robin stur aus dem Fenster blickte und Harun demonstrativ den Rücken zukehrte. Auch er sprach sie nicht an, sondern unterhielt sich mit gedämpfter Stimme und in einem Robin nicht geläufigen Dialekt mit seiner Begleiterin. Schließlich wurde an die Tür geklopft, und nachdem Aisha sie geöffnet hatte, betraten gleich fünf von Omars Kriegern den Raum. Jeder von ihnen trug zwei große Tonkrüge, die, wenn sie tatsächlich mit Wasser gefüllt waren, sicherlich je zwanzig Pfund wiegen mussten.
Harun gestikulierte wild mit seinen goldberingten Händen, woraufhin die Männer die Krüge in einer Reihe an der Wand neben der Tür abstellten. Robin gefielen diese Vorbereitungen nicht, zumal ihr einer der Krieger beim Hinausgehen einen Blick zuwarf, der zwischen Spott und Mitleid lag. Harun wartete, bis der letzte der Männer den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann klatschte er in die Hände, und die schwarzhaarige Schönheit in seiner Begleitung nahm einen der Krüge auf, setzte ihn sich auf den Kopf und begann, langsam damit im Zimmer auf und ab zu schreiten. Während der ersten
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