Der Ring des Sarazenen
es ihr als ein guter Tausch. Das Leben einer Sklavin, der im Grunde genau die Zukunft bevorstand, die Naida ihr gestern prophezeit hatte, gegen das eines Ungeheuers in Menschengestalt, das vielleicht schon hundert Leben und tausend Schicksale zerstört hatte. Vielleicht hatte Gott sie ja nur aus diesem einen Grund hierher geschickt: Um diese Bestie aufzuhalten.
Langsam wandte sie sich um, ging zu dem niedrigen Tisch und ließ sich auf den weichen Teppich daneben sinken. Der Anblick der köstlichen Mahlzeit stieß sie ab. Gestern hatte Naida ihr nicht nur die Kleider, sondern auch das Essen eines gewöhnlichen Sklaven gebracht, und vermutlich war es immer noch besser gewesen als das verdorbene Zeug, mit dem Nemeth und die anderen Kerkerinsassen abgespeist wurden. Heute durfte sie wieder wie eine Fürstin speisen, aber sie brachte es nicht über sich, auch nur einen Bissen davon herunterzuwürgen. All die Köstlichkeiten auf dem Tisch - stahl sie sie im Grunde genommen nicht den hungernden Sklaven? Womöglich war bereits einer der unglücklichen Männer und Frauen dort unten im Keller verkauft worden - für die Kosten ihrer Mahlzeiten sowie ihrer luxuriösen Ausstattung. Aus irgendeinem Grund hielt Omar sie für etwas ganz Besonderes, ein Juwel in seiner ohnehin gut gefüllten Schatztruhe. Vielleicht würde er die Freude an seinem Juwel ja verlieren, wenn sie so abgemagert und blass wie die übrigen Sklaven war.
Das war zunächst ein verlockender Gedanke, aber Robin wusste gleichzeitig sehr wohl, wie albern diese Vorstellung war. Omar würde es nicht zulassen, und sie selbst würde es nicht lange aushalten.
Einer von Salims Lieblingssätzen fiel ihr ein, etwas, das er oft gesagt hatte: Stolz schmeckt nicht besonders gut, und er macht nicht satt.
Dennoch ließ sie das Essen unberührt, stand auf und ging wieder zum Fenster.
Auf dem Hof herrschte hektische Betriebsamkeit. Die Pferde waren fortgebracht worden und eine Anzahl von Arbeitern hatte damit begonnen, aus den eingelagerten Balken ein hölzernes Podest zu zimmern. Auf den ersten Blick ähnelte es dem Brettergerüst unter dem Galgen, den sie gesehen hatte, als Bruder Abbé sie zu einer Hinrichtung mitgenommen hatte. Robin gestattete es sich nicht, den Gedanken, der diesem Vergleich folgte, zu Ende zu denken. Stattdessen sah sie den Arbeitern eine Weile konzentriert bei ihrem Tun zu, - nicht, weil es sie wirklich interessierte, sondern einfach, um überhaupt irgendetwas zu tun und ihre Gedanken abzulenken. Als einer der Männer zu ihrem Fenster hinaufsah, hob sie die Hand und winkte ihm zu, eine kleine Geste der Freundlichkeit einem völlig Fremden gegenüber, die ihr plötzlich ungemein wichtig vorkam. Der Arbeiter verhielt sich jedoch völlig anders, als sie erwartet hätte. Er winkte weder zurück, noch sah er freudig überrascht oder irritiert aus, sondern fuhr erschrocken zusammen und wandte sich mit einer hastigen Bewegung ab.
Für eine Weile machte sich eine sonderbare Unruhe unter den Männern dort unten breit. Niemand sah in ihre Richtung. Ohne dass Robin genau sagen konnte, wieso, spürte sie ganz deutlich, dass die Männer ganz bewusst nicht zu ihrem Fenster hinaufsahen, ja nicht einmal auch nur ungefähr in ihre Richtung blickten. Als wäre sie plötzlich keine gewöhnliche Sklavin mehr, sondern vielmehr eine Hexe, deren bloßer Anblick schlimmes Unheil oder gar den Tod versprach.
Als Robin die Tür hinter sich aufgleiten hörte, fuhr sie herum. Zunächst erwartete sie, die beiden Sklavinnen zurückkehren zu sehen, ein wenig war sie auch von der widersinnigen Hoffnung erfüllt, Naida zu erblicken. Aber ihre Angst, dass der alten Sklavin etwas wirklich Schlimmes zugestoßen sein könnte, wurde nicht besänftigt. Stattdessen betrat Omar den Raum.
Robin erstarrte mitten in der Bewegung. Der Sklavenhändler trug noch immer dieselben Kleider wie in der Nacht und sein Gesicht wirkte bleich und ein wenig kränklich. Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten und als er die Tür hinter sich schloss, fiel ihr auf, dass seine Hände zitterten. Sie vermutete, dass er in der zurückliegenden Nacht keinen Schlaf gefunden hatte, und wappnete sich innerlich dagegen, nunmehr zur Zielscheibe des gleichen rasenden Zornes zu werden, der sich auf Naida entladen hatte.
Zunächst verdüsterte sich Omars Gesicht für einen Moment, als er sich ihr zuwandte und sie mit schräg gehaltenem Kopf aufmerksam musterte. Dann gab er sich einen sichtbaren Ruck, trat zwei Schritte
Weitere Kostenlose Bücher