Der Ring des Sarazenen
stärker. Sie stieß die junge Frau grob vor sich her durchs Zimmer und aufs Bett. Dann war sie mit einer blitzartigen Bewegung über ihr und nagelte ihre Oberarme mit den Knien fest. Die Sklavin bäumte sich auf und versuchte, sie abzuschütteln. Robin versetzte ihr eine schallende Ohrfeige.
»Ich will dir nicht wehtun«, sagte sie und wurde sich im selben Augenblick des Zynismus ihrer Worte bewusst. »Aber du kommst hier nicht raus, bevor du mir nicht gesagt hast, was gestern Abend geschehen ist. Warum war Omar so wütend? Was hat er Naida angetan?«
Immer noch keine Antwort. Robin sah sich plötzlich als Gefangene ihrer eigenen Rolle. Sie wollte und konnte diese Frau nicht noch weiter quälen, auf der anderen Seite war sie aber schon zu weit gegangen, um jetzt einen Rückzieher zu machen und so zu tun, als wäre gar nichts geschehen. Drohend hob sie die Hand, wie um die junge Frau noch einmal zu schlagen. Dann aber besann sie sich anders, stand auf und riss sie grob in die Höhe. Dabei packte sie sie erneut am Oberarm und drückte mit den Fingern so fest wie möglich zu. Robin wusste aus eigener Erfahrung, wie sehr das schmerzte.
Doch auch diesmal erhielt sie keine Antwort. Die Sklavin krümmte sich, hob schützend die freie Hand vors Gesicht und begann zu weinen. Entsetzt darüber, wie sehr sie sich hatte gehen lassen, ließ Robin los und wich zwei Schritte weit zurück.
Sie hatte die beiden Frauen bislang kaum beachtet. Nie hatte sie ihre Stimmen gehört, und sie hatte nie wirklich auf ihre Münder geachtet; aber nun, als die Sklavin gekrümmt vor ihr stand, die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte und lauthals schluchzte, hatte sie die Lippen geöffnet, und Robin erkannte voller Grauen, warum sie niemals auch nur eine einzige Silbe mit ihr gewechselt hatte.
Sie konnte es nicht.
Ihre Zunge war herausgeschnitten.
»Gott im Himmel«, flüsterte Robin. »Das… das wusste ich nicht!« Plötzlich füllten sich ihre Augen mit Tränen. Sie kam sich schäbig vor, gemein und durch und durch niederträchtig, und in diesem Moment hätte sie alles getan, um ihre Grausamkeit wieder rückgängig zu machen.
»Bitte verzeih mir«, sagte sie noch einmal. »Ich wusste nicht, dass… dass du nicht reden kannst. Wer hat dir das angetan?«
Natürlich bekam sie auch auf diese Frage keine Antwort, wie auch? Aber es war auch nicht nötig. Sie kannte die Antwort bereits.
»Omar«, sagte sie. »Dieses Ungeheuer! Aber warum?«
Die Sklavin hatte aufgehört zu schluchzen und richtete sich vorsichtig auf. Sie hielt sich die Hand noch immer schützend vor das Gesicht, als hätte sie Angst, dass Robin sie noch einmal schlagen würde.
Dann sah Robin, was sie mit ihrer ungestümen Kraft angerichtet hatte, mit Händen, die ein Jahr lang täglich ein Schwert geführt hatten. Nie zuvor war sie sich dessen so bewusst geworden wie in diesem Augenblick! Ihre Finger hatten deutlich sichtbare Striemen auf dem schmalen Gesicht der jungen Frau hinterlassen und die Haut an ihrem Arm hatte sich bereits blaurot verfärbt. Diese Prellung würde der Sklavin noch tagelang bei jeder Bewegung Schmerzen bereiten.
»Es tut mir Leid«, sagte sie noch einmal. »Bitte glaub mir, das wusste ich nicht…»
Die Tränen der jungen Frau versiegten. In ihren Augen stand noch blanke Angst, aber ihre Frucht schien jetzt nicht mehr Robin zu gelten. Plötzlich tat sie etwas, das Robin im ersten Moment vollkommen überrumpelte: Sie trat auf sie zu, schloss sie in die Arme und drückte sie mit solcher Kraft an sich, dass Robin fast die Luft wegblieb. Sie versuchte nicht, sich aus der Umarmung der Sklavin zu befreien, sondern erwiderte sie, bis die Sklavin erschrocken zurücktrat, sich noch einmal mit dem Handrücken über das Gesicht fuhr, um die Tränen fortzuwischen, und dann mit einem Ruck herumfuhr und aus dem Zimmer stürmte. Diesmal war Robin fast erleichtert, das Geräusch des Riegels zu hören, der von außen vorgelegt wurde.
Omar! Der Sturm von einander widersprechenden Gefühlen, der sie seit dem gestrigen Morgen geplagt hatte, war plötzlich erloschen und in Robin war nur noch Raum für eine einzige Empfindung. Zorn. Ein kalter Zorn, der Omar galt. Sie würde Omar töten. Wenn er Naida etwas angetan hatte, wenn er Nemeth, deren Mutter oder irgendeinem der Sklaven dort unten etwas antat, wenn er auch nur die Hand gegen sie selbst hob, würde sie ihn töten - auch wenn sie dafür mit dem eigenen Leben würde bezahlen müssen. In diesem Moment erschien
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