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Der Ring des Sarazenen

Der Ring des Sarazenen

Titel: Der Ring des Sarazenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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alle Fluchtpläne zu schieben, über die sie im Laufe der vergangenen Nacht gebrütet hatte. Aber was hatte sie eigentlich erwartet? Haruns Nachlässigkeit vom vergangenen Abend würde ganz bestimmt nicht zur Gewohnheit werden.
    Sie verscheuchte den Gedanken, wandte sich ihrem Geschenk zu und musterte es einige Herzschläge lang misstrauisch. Omar Khalid ben Hadschi Mustapha Khalid. Robin musste lächeln. Was für ein Name! Was das anging, schienen die Araber nicht anders zu sein als ihre Erzfeinde, die Christen: Je höher der Rang eines Mannes war oder je wichtiger er sich selbst nahm, desto umständlicher und komplizierter schien sein Name zu werden. Warum aber sollte Omar ihr Geschenke schicken?
    Vielleicht würde sich diese Frage von selbst beantworten, wenn sie erst einmal wusste, worum es sich bei dem Geschenk überhaupt handelte. Sie wollte schon hinübergehen, besann sich dann aber im letzten Moment auf Omars Warnung und machte noch einmal kehrt, um den Schleier anzulegen, ehe sie ans Fenster trat und das Leinentuch mit beiden Händen wegzog.
    Darunter kam ein halb mannshoher, kunstvoll aus hellem Holz geflochtener Vogelkäfig zum Vorschein. Auf Robins Lippen erschien unwillkürlich ein Lächeln, als sie die beiden kleinen Vögel gewahrte, die nebeneinander auf einer Stange saßen und sie einen kurzen Moment aus ihren winzigen Äuglein scheinbar erschrocken anblickten, ehe sie das Sonnenlicht spürten und ein helles Tschilpen anstimmten. Es waren Vögel von einer Art, wie Robin sie noch nie zuvor gesehen hatte. Sie hatten ein gelblichweißes Brustgefieder und ihre Flügel waren von schlichter graubrauner Farbe. Als Robin die Finger durch das engmaschige Holzgeflecht schob und bewegte, kamen sie zutraulich näher und zwitscherten und pfiffen noch aufgeregter mit ihren wohltönenden Stimmen. Fast schien es, als diskutierten sie heftig miteinander, was sie von ihrer neuen Umgebung und vor allem ihrer neuen Herrin zu halten hatten.
    Ihr Zusammenspiel war erstaunlich. Sie blieben stets dicht beieinander, und wenn der eine mit den Flügeln schlug, ahmte der andere die Bewegung sogleich nach, ebenso wie keiner ein Zwitschern anstimmen konnte, ohne dass der andere es unverzüglich beantwortete.
    Sosehr der Anblick der possierlichen kleinen Tierchen Robin auch erfreute, so fragte sie sich doch, warum der Sklavenhändler sie ihr zum Geschenk gemacht hatte. Es gab für Omar keinen Anlass, ihr eine Freude zu machen, ganz im Gegenteil. Und wenn sie eines von diesem Mann zu wissen glaubte, dann, dass er nichts ohne Grund tat.
    In das Zwitschern der beiden Vögel mischten sich vom Hof her aufgeregte Rufe und dann ein zorniger Schrei. Robin drehte den Kopf und sah in das ummauerte Geviert hinab, in dem das Lärmen und Hämmern auch den ganzen Vormittag über angehalten hatte. Sie war nicht ein einziges Mal ans Fenster getreten, um nicht aus Versehen noch mehr Schaden anzurichten, als es vielleicht bereits geschehen war. So war sie ein wenig überrascht, dass die Zimmerleute ihre Bauarbeiten offensichtlich schon vollendet hatten. Direkt neben dem Eingang zum Haus war ein solides, mehr als einen Meter hohes Podest aus hölzernen Balken errichtet, und daneben hatte man etliche Bänke aufgestellt. Im Moment waren Sklaven damit beschäftigt, ein Sonnendach aus weißem Segeltuch auf dem Podest zu errichten und aus zurechtgesägten Brettern eine Treppe auf der Türseite zu zimmern. Das Ganze erinnerte Robin an die Bühne für ein Weihnachtsspiel, das sie im vergangenen Winter in Nürnberg gesehen hatte.
    Die aufgeregten Rufe und das wütende Geschrei hielten an, aber Robin konnte ihre Ursache ebenso wenig ausmachen wie ihre Verursacher. Der Hof war voller Männer und Frauen - Omars Diener und Wachposten, zum größten Teil jedoch Sklaven, die hektisch mit den letzten Vorbereitungen für was auch immer beschäftigt waren. Robin beugte sich ein wenig weiter vor, von der vagen Hoffnung erfüllt, Nemeth oder ihre Mutter, möglicherweise gar Naida zu sehen, aber sie erblickte nur ein paar Gesichter, die ihr vage bekannt vorkamen. Es waren Bewohner des Fischerdorfes, die sie nur ein- oder zweimal gesehen hatte. Dann fiel ihr doch eine bekannte Gestalt auf, und als hätte der Mann, der ihr bisher den Rücken zugewandt hatte, ihren Blick gespürt, drehte er sich herum, legte den Kopf in den Nacken und starrte zu ihr hoch.
    Ganz instinktiv wich Robin einen halben Schritt vom Fenster zurück, so weit, dass sie gerade noch ins Gesicht des

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