Der Ring des Todes - ein Wagner Krimi
Kleinmanns spitzes Vogelgesicht genau. Dieser kniff die Augen zusammen. „Er war nur klug genug zu erkennen, dass er und sein Bruder als Partner niemals harmonieren würden. Das hat sich schon zu Lebzeiten des Seniors herausgestellt. Die beiden waren schlichtweg zu verschieden.“ „Inwiefern verschieden?“, hakte Wagner interessiert nach. „Nun, Kai war seinem Vater in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich. Traditionsbewusst und sich seiner Verantwortung gegenüber dem Haus und den Mitarbeitern im Klaren. Olaf hingegen hat nie verstanden, wie großartig dieses Unternehmen wirklich ist. Herr Westhofen senior hat es stets verstanden, Innovationen mit Tradition zu verbinden. Unser Haus ist weltweit dafür bekannt! Die Räumlichkeiten, beispielsweise, wurden niemals vollständig modernisiert, sondern stets liebevoll restauriert. Dieses Ambiente finden Sie in keinem anderen Modehaus mehr. Überall sehen Sie Aluminium, Plastik oder gar Gitterroste auf den Böden. Wo bleibt da das Flair?“ Herr Kleinmann war ein glühender Fan dieses Modetempels, das stand außer Frage, denn es folgte ein langer Vortrag über die Schande, die Olaf Westhofen mit seinem Regime über das Haus gebracht hatte. Kleinmann bezeichnete seinen toten Chef als desinteressiert und geldgierig. Er nannte ihn einen Lebemann und wiederholte mehrfach, dass er niemals begriffen hätte, welch großartiges Unternehmen im förmlich geschenkt wurde. Blabla.
Hauptkommissar Wagner hörte während des inbrünstig vorgetragenen Monologs allerdings wenigstens ein paar brauchbare Fakten heraus. Olaf Westhofen hatte nach verschiedenen Fehlentscheidungen Personal kürzen müssen, um der finanziellen Schieflage der Firma ein wenig entgegen zu wirken. Das Haus hatte unter seiner Führung stark an Prestige eingebüßt, und der neueste Plan des Opfers, die hauseigene Schneiderei für Maßkonfektion zu schließen, regte den Personalchef derart auf, dass er im Gesicht rote Flecken bekam. Nun war der Mann noch unansehnlicher als zuvor. Bravo!
„Herr Kleinmann, wo waren Sie eigentlich am frühen Montagmorgen?“ Diese Frage an sein Gegenüber fiel absichtlich beiläufig aus. Kleimann sah Wagner zunächst verständnislos an. „Wo soll ich um diese Uhrzeit schon gewesen sein? Im Bett nat…“, die roten Flecken in seinem Gesicht nahmen tatsächlich noch an Farbe zu. Nun waren sie beinahe lila.
Der Personalchef holte theatralisch Luft: „Wie können Sie es wagen? Niemals würde ich einem Menschen etwas antun. Sie dürfen gerne meine Gattin befragen. Sie wird Ihnen alles bestätigen.“ Herr Kleinmann bebte vor Zorn. Theobald Wagner hingegen hatte nun endgültig Mühe, seine Antipathie gegen diesen Mann im Zaum zu halten. Dennoch bemühte er sich die Wogen zu glätten, indem er erklärte, dass es seine Pflicht sei, alle Möglichkeiten auszuloten, auch wenn sie noch so absurd waren. Herr Kleinmann rang sichtlich um Fassung. Nachdem er umständlich ein streng riechendes Kräuterbonbon aus der Verpackung befreit und in der linken Backentasche verstaut hatte, straffte er seine Haltung, und antwortete bemüht verbindlich: „Natürlich müssen Sie fragen. Das ist Ihr Beruf. Ich bitte höflichst um Verzeihung. Sie können jederzeit mit meiner Gattin Kontakt aufnehmen. Wenn Sie mir nun bitte folgen wollen? Wir haben Ihnen die Konferenzräume für die Befragungen zur Verfügung gestellt. Ihr Kollege hat bereits begonnen.“ Herr Kleinmann verbeugte sich knapp und wies Hauptkommissar Wagner den Weg.
„Guten Morgen allerseits.“ Wagner nickte seinem Kollegen Menzel und den anwesenden Mitarbeitern Westhofens zu, bevor er sich dem Personalchef ein letztes Mal zuwandte.
„Herr Kleinmann, Sie können nun wieder zu Ihrer Arbeit zurückkehren. Wir haben schon alles Wesentliche besprochen. Danke für Ihre Offenheit.“ Der Personalchef rang seinem Vogelgesicht ein schmallippiges Lächeln ab und verschwand wortlos.
Theobald Wagner besprach sich kurz mit Menzel, der ihm mitteilte, dass die bisherigen Gespräche nichts Interessantes ergeben hatten. Offenbar teilten alle bisher angehörten Angestellten mehr oder weniger die Auffassung von Personalchef Kleinmann. Halbherzige Betroffenheit über den Mord an Olaf Westhofen und die Hoffnung, dass dessen Bruder nun die alte Ordnung wieder herstellen würde. Die folgenden Befragungen brachten diesbezüglich auch nichts Neues. Hauptkommissar Wagner wurde langsam ungeduldig. Irgendwer musste doch etwas wissen. Er brauchte eine Spur. Leise fluchte
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