Der Ring des Todes - ein Wagner Krimi
Vielleicht gab es für Fälle wie ihn einen Ratgeber? „Wie durchbreche ich meinen persönlichen Teufelskreis.“ Die Buchhandlungen quollen förmlich über von solcher Literatur.
Auf dem Revier wartete der Papierkram. Alibis überprüfen und viel schlimmer, den Chef über die neuesten Entwicklungen informieren. Halbherzig verkaufte er Lutz Hartmann die Razzia am Bahnhof als die heißeste Spur in diesem Fall. Obwohl dies tatsächlich der Wahrheit entsprach, glaubte Wagner nicht so recht an die Möglichkeit, dass ein Stricher nach dem Sex in der Villa einen Mord an Olaf Westhofen begangen haben sollte.
Wagner war bislang kein Fall aus dieser Szene bekannt, bei dem zuvor ein paar hundert Regenwürmer eingesammelt worden waren, um sie nach begangener Tat über dem Opfer auszuleeren. Das war Blödsinn. Der Erfahrung nach töten Stricher höchstens im Affekt, weil sie beispielsweise beim Stehlen erwischt wurden. Dasselbe galt auch für den perfekt gemalten Drachen auf dem Körper des Opfers. Die Filzstifte für dieses Kunstwerk führt der Stricher von Welt grundsätzlich bei sich? Das Ganze war absurd. Dieser Mord an Olaf Westhofen war vorsätzlich und, so schien es zumindest, von langer Hand und äußerst sorgfältig geplant.
Wenn er doch bloß hinter die Bedeutung der Würmer und des aufgemalten Drachens kommen könnte. Ganz zu schweigen von dem Ring im Enddarm des Opfers.
Theobald Wagner wusste, dass hier der Schlüssel zur Lösung des Falls lag. Zumindest soviel war von seiner Intuition noch übrig geblieben.
Der Mann warf die druckfrische Tageszeitung auf den Tisch. Von der Presse war nicht viel zu halten. Er drehte die Musik lauter. Nun dröhnte sie aus jedem Winkel des Raums. Er hatte es selbst so eingerichtet. Es war nicht nötig gewesen, jemanden um Rat zu fragen. Das hatte der Mann nie nötig gehabt. Einen Moment lang genoss er dieses Gefühl der absoluten Unabhängigkeit. Der Mann hätte sehr wohl jemanden beauftragen können, diese lästige Arbeit an der Elektrik zu verrichten. Dieser Jemand hätte seine heiligsten Räume allerdings niemals lebendig verlassen dürfen. Ein Grinsen huschte ihm über das Gesicht. Hätte ein anderer es besser machen können als er selbst? Gewiss nicht. Kaum jemand konnte an seine Perfektion heranreichen
.
Die Presse - was wusste die schon? Der Mann nahm den Mannheimer Morgen wieder zur Hand. „Ein Drache mit farbigen Filzstiften aufgemalt - wie eine dilettantische Tätowierung.“ Dilettantisch. Was wussten diese Schreiberlinge schon über Unfähigkeit? Er trat an die Arbeitsplatte unter der Pinnwand. Dort war alles sauber dokumentiert. Dieser Westhofen hatte seinen Tod selbst provoziert, auch wenn es diesem Narren zu Lebzeiten nie bewusst war
.
Deshalb hatte der Mann Zeichen hinterlassen, quasi für die Nachwelt. Sie sollte eines Tages die Bedeutung seines Werkes begreifen können. Wann dieser Zeitpunkt gekommen war, würde er allein bestimmen
.
In der Zeitung stand nichts über den Ring. War es Taktik der Polizei, dieses Detail zu verschweigen? Soweit die zu taktischem Denken überhaupt fähig war!
Oder erschien der Presse dieses Detail als zu geschmacklos?
Der Mann hoffte, nicht an einen kompletten Vollidioten geraten zu sein. Er brauchte einen würdigen Gegner in diesem Spiel. Keinen hirnlosen Uniformierten, der unfähig war, selbstständig zu denken. Wo bliebe denn sonst der Reiz?
Der Mann hatte lang abgewogen, ob und wie er den Ring an seinen vorbestimmten Platz positionieren sollte. Es war ihm zunächst zuwider gewesen, den Ring im Enddarm Westhofens zu platzieren. Aber genau dort gehörte er nun einmal hin. Es hatte ihn eine Menge Disziplin gekostet, sich dazu zu überwinden. Doch die Vollkommenheit seines Werkes verlangte es. Also gab es keine andere Möglichkeit
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Der Mann stützte seine athletischen Unterarme auf die Arbeitsplatte und betrachtete die Tuscheskizzen des Drachen. Dilettantisch! Die hatten keine Ahnung! Er hatte sehr wohl im Vorfeld darüber nachgedacht, sich das Handwerk des Tätowierens anzueignen, um dem Drachen mehr Gewicht und mehr Tiefe zu verleihen. Es hätte die Umsetzung seines Plans allerdings unnötig hinausgezögert. Nicht, dass er nicht fähig gewesen wäre, diese Kunst zu erlernen! Er konnte alles lernen! Es hatte schlicht die Zeit gedrängt!
Dilettantisch!
Er nahm die Tuschefeder auf und trat vor den Spiegel. Dann legte er den Kopf zur Seite und sah zu, wie die Feder eine gerade Linie oberhalb seiner linken Brustwarze zog.
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