Der Ring des Todes - ein Wagner Krimi
Vater war vor zwei Jahren verstorben. Der Rest der kläglichen Verwandtschaft lebte im Ausland. Paris, London und Buenos Aires. Die Aussage des ehemaligen Kindermädchens brachte ebenfalls keine interessanten Neuigkeiten. Sie hatte Olaf Westhofen wie einen Sohn geliebt und seinen Haushalt und scheinbar auch einen Großteil seines Lebens gemanagt. Die Überprüfung der drei weiteren Hausangestellten, ein Koch und zwei Haushaltshilfen, brachte nichts. Jeder hatte sein bereits überprüftes Alibi.
Nun war der Moment der Wahrheit gekommen. Das Glas war leer. Noch ein weiterer Scotch und er würde sich morgen wieder elend fühlen, denn er wusste, es würde nicht bei diesem einen weiteren bleiben. Theobald Wagner entschied sich für Fußball auf dem Pay-TV-Kanal als Schlafmittel. Gute Entscheidung.
Pünktlich um acht Uhr und mit wohltuend klarem Kopf betrat Hauptkommissar Theobald Wagner Westhofens Modetempel durch den Personaleingang. Trotz mangelnder Ermittlungserfolge befand er sich heute in bester Stimmung.
Es war ihm sogar gelungen, Lara aus dem Coffeeshop wieder milde zu stimmen, nachdem er sich ihr gegenüber am Vortag so mies benommen hatte. Als Entschuldigung verlangte sie eine Einladung zu „was auch immer“. Auf seine Frage, welche Bedeutung „was auch immer“ in ihren Augen habe, antwortete sie lachend: „Haben Sie tatsächlich so wenig Phantasie?“ Als Wagner den Laden schließlich verließ, fühlte er sich merkwürdig beschwingt. In der Tür drehte er sich noch einmal nach Lara um. Die Studentin hatte ihm nachgesehen. Doch anstatt rot zu werden, warf sie ihm eine Kusshand zu, bevor sie den nächsten Kunden bediente. Wagner musste grinsen. Die Kleine war ganz schön frech, und der Kaffee schmeckte aus unerfindlichen Gründen heute besonders gut.
„Kleinmann, guten Tag. Sie sind Herr Hauptkommissar Wagner?“ Eine dünne, eisig klingende Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Am Eingang zu den Büroräumlichkeiten der Firma Westhofen stand ein dünnes Männlein und streckte Theobald Wagner seine feingliedrige Hand entgegen. „So ist es. Und Sie sind der Personalchef?“ „Jawohl.“ Der Mann im perfekt sitzenden Anzug rückte seine schmale, dunkel gerahmte Brille im hageren Gesicht zurecht und deutete eine steife Verbeugung an. „Ich bin seit nunmehr sechsunddreißig Jahren in diesem Haus beschäftigt. Ich habe alle möglichen Höhen und Tiefen miterlebt. Aber so ein schrecklicher Tag wie dieser heute war gewiss noch nicht da.“ „Sie meinen den Tod von Herrn Westhofen?“ „Das ist eine Tragödie, fürwahr. Allerdings beziehe ich mich vielmehr auf die Tatsache, dass die Polizei den Mörder unter uns Mitarbeitern vermutet. Unser hoch geschätzter Herr Westhofen senior, Gott hab´ ihn selig, hätte diese, uns noch bevorstehende, Prozedur mehr als missbilligt.“ Personalchef Kleinmann zog die rechte Augenbraue ein wenig hoch. Sie lag nun wie ein Dreieck ohne Sockel auf der hohen glänzenden Stirn. Das Gesicht des Personalchefs erinnerte Wagner an das eines Vogels. Es wollte ihm nur nicht einfallen, an welchen speziell er dabei dachte. Kleinmanns arrogante Haltung und seine geschwollene Ausdrucksweise gingen Wagner mächtig auf die Nerven, trotzdem gelang es ihm, mit beherrschter Stimme zu sprechen. „Sie sind offenbar falsch informiert worden, Herr Kleinmann. Wir verdächtigen zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt niemanden. Von den engsten Mitarbeitern Olaf Westhofens erhoffen wir uns vielmehr Informationen, die zur Ergreifung des Mörders führen. Es werden bei derartigen Ermittlungen grundsätzlich zuerst die Menschen in der nächsten Umgebung befragt, da sie das Opfer am besten kannten.“
Theobald Wagner machte eine kurze Pause und ein verbindliches Gesicht.
Dann platzte er mit einer Frage heraus, die ihm schon die ganze Zeit auf der Zunge lag: „Sie hielten nicht allzu viel vom Juniorchef, Herr Kleinmann?“ Das Vogelgesicht des Personalchefs wurde bleich. „Das möchte ich nicht gerade sagen, aber ihm fehlte durchaus das Format seines Herrn Vaters.“ Kleinmann sah sich um, als wolle er sich vergewissern, dass niemand zuhörte, und fügte dann leise hinzu: „Wir hoffen nun, dass der werte Herr Kai Westhofen die Geschicke der Firma übernimmt. Die meisten hier hielten ihn ohnehin für den einzig rechtmäßigen Erben dieses Traditionshauses.“ „Offenbar dachte Kai Westhofen selbst da anders. Sonst wäre er sicher nicht nach New York verschwunden, meinen Sie nicht?“ Wagner beobachtete
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