Der Ring von Ikribu
vorbei.«
»Dann ist Asroth also hier?«
Der Stygier antwortete nicht.
Sonja drückte die Schwertspitze nun an seinen Hals, dass sie ganz leicht in die Haut drückte. Sopis’ Augen glühten noch stärker. Seine Hand schob gleichmütig den Stahl zur Seite. Ihr war, als zucke ein Blitz die Klinge entlang und durch den Knauf in ihren Arm.
Angespannt beobachtete sie den Stygier.
Leiser Donner grollte im Freien, viel tiefer als der Schlachtenlärm. Sonja blickte die Treppe hoch, wo ein Fenster nach Westen schaute. Durch es hallte der Donner, und er war von derselben Art wie der, den sie gehört hatte, als sie sich Suthad näherten.
Bei diesem Laut schien Sopis’ Haltung sich leicht zu verändern. Auf seinem sonst so unbewegten Gesicht war Besorgnis zu erkennen. »Dann kommt mit uns, wenn Ihr wollt«, forderte er Sonja auf. »Aber wir können keine Verantwortung übernehmen.«
Sonja ging nicht auf seine letzten Worte ein. Sie nickte ihm zu. »Schön, dann geht voraus, aber ich warne Euch …«
»Keine nichtigen Worte, Rote Sonja. Wir stehen jetzt einer Sache größter Bedeutung gegenüber.«
Sie stiegen die Stufen hoch, Sonja dicht wie sein Schatten neben Sopis. Weiter grollte der Donner, ansonsten war es auf der engen, klammen Treppe so still wie in einer Gruft.
Am Treppenende öffnete Sopis eine eiserne Tür, hinter der weitere Stufen aufwärts führten.
»Wohin wollt Ihr überhaupt?« fragte Sonja.
»Asroth bewirkt seine bedeutendsten Zauber in diesem Westturm.«
»Woher wollt Ihr das wissen?«
»Wir fühlen es.«
Am Ende dieser zweiten Treppe öffnete er eine goldene Tür. Dahinter befand sich ein Gemach – eng und vollgestopft mit Regalen, einem Tisch, einem Stuhl, geordneten Zauberutensilien, Räucherschalen, einem Athanor, Prismen, Pergamenten, Schriftrollen und dicken Bänden. Auf dem Boden waren eingeschnitzte und aufgezeichnete Muster, genau wie an den Wänden und der Decke. Es schmerzte das Auge, sie näher zu betrachten.
Sonjas erster und verwirrter Eindruck war, dass der Raum eine Falle für sie darstellte. Er war auf die verrückteste Weise gewinkelt und zwar mit voller Absicht. Der Fußboden schien schräg abwärts zu einer Ecke zu verlaufen, die Decke sich in seltsamer Weise in die entgegengesetzte Richtung zu neigen, und die Wände waren schief. Die Geometrie war verkehrt. Sonja spürte, dass irgendwie Dinge – Menschen – Kräfte – so sicher in diesen wahnsinnigen Winkeln festgehalten werden konnten, wie ein Kind einen Käfer in einem Weinbecher festzuhalten vermochte.
Sopis glitt zum Tisch, auf dem ein offenes Pergament und mehrere Schriftrollen lagen, eine große Kristallkugel stand und eine Räucherschale, die mit Asche gefüllt war. »Asroth verließ den Raum in großer Eile«, sagte der Stygier und studierte das Pergament.
»Wann?«
»Gestern Abend.«
»Und warum, Sopis?«
Der Stygier antwortete nicht, sondern beschäftigte sich eingehend mit dem Pergament. Seine Glyphenzeilen gehörten keiner modernen Sprache an, doch Sopis schien keine Schwierigkeiten beim Entziffern zu haben. Und während er sie las, wurde sein Gesicht immer bleicher und sein knochiger Finger zitterte leicht, während er die Buchstaben nachfuhr.
Sonja trat näher heran und blickte über des Stygiers Schultern auf das Pergament.
»Warum ist er fort, Sopis?« fragte sie erneut. »Hat er gefunden, weswegen er hierherkam?«
»Nein.«
Verärgert über seine knappen Antworten, wollte sie gerade fluchen und ihn zu einer Erklärung zwingen, als er plötzlich erregt zischte und den Finger vom Pergament hob, als hätte er sich ihn daran verbrannt. Sonja sah, dass seine Augen sich vor Furcht weiteten.
»Sopis – was steht auf dem Pergament?«
»Asroth ist so eilig von hier fort, weil …«
»Was steht auf dem Pergament?«
Sopis richtete sich auf und vermied, das Schriftstück weiter anzusehen. Mit den gelben Augen voll Drohung funkelte er Sonja an. Wieder donnerte es in der Ferne, aber für Sonjas Ohren hörte es sich nicht so an, als käme dieses Donnergrollen vom Himmel.
Die Tür des Zaubergemachs schlug zu. Sonja starrte darauf. Hatte sie sich von selbst geschlossen? Sie wandte sich wieder Sopis zu. Das drohende Funkeln seiner Augen hatte sich nicht geändert.
Sonja war, als striche eine eisige Hand über ihr Rückgrat. Fester umklammerte sie ihren Schwertgriff. Schweiß brach ihr aus. Plötzlich wurde ihr bewusst, wie weit sie von den anderen entfernt war, und auch, dass Sopis ohne Zweifel mit
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