Der Ring
die Klaue an. Wir wurden zur Seite geschleudert.
Das Doppelgespann verfing sich im Kabel. Kurz befanden wir uns im freien Fall, bis wir abrupt abbremsten, als der Faden sich spannte. Und hielt. Ich spürte die schwache Gravitation, die an uns zerrte, während die lange Pendelbewegung ihren Anfang nahm. Verblüfft und erleichtert stieß ich eine Mischung aus Schnauben und Kichern aus.
Nun waren wir Teil eines auf dem Kopf stehenden Pendels mit einer Schwingperiode von knapp über vier Stunden. Als mir die Konsequenzen dämmerten, musste ich sogar lachen. Das war kein simples Pendel, nein, wir bildeten das Doppelpendel eines komplexen Systems, das sich aus der Raumstation, den Sleds und den nach unten und nach oben führenden Kabeln zusammensetzte, sich über 50 000 Kilometer erstreckte und von den Gravitations- und Zentripetalkräften bestimmt wurde. Rasch erstellte ich ein Bild für den Pod und warf es ihm zu.
»Schön«, sagte Meda.
Ich fügte Biegsamkeit und Masse der Diamantfäden hinzu und berücksichtigte die Auswirkung der etwa hundert Kilometer Kabel über uns, die dem System ein drittes Pendel hinzufügten. Zu guter Letzt berechnete ich den Ruck, der durch Columbus Station gegangen sein musste, als das Kabel die Zenitalgeschwindigkeit der Sleds gedämpft hatte.
Oje, meinte Meda. Ein Ruck?
Ja. Die zeitliche Änderung der Beschleunigung, erklärte ich. Die zweite Ableitung der Geschwindigkeit. Die dritte Ableitung des Weges.
Das heißt, wir haben die ganze Station erschüttert? An ihr gezerrt?
Wie schlimm?
»Nur ein bisschen.« Allmählich drangen die Sorgen meiner Podpartner zu mir durch.
Haben wir das Kabel beschädigt?
Nicht direkt, aber es bewegt sich jetzt mit ein paar Metern pro Sekunde nach oben.
»Verdammt!«, rief Meda. »Wie sollen wir das je wieder gutmachen?«
Aber es sieht toll aus.
Meda starrte mich wütend an. Wir müssen da schleunigst wieder runter!
Erst müssen wir uns um Flora kümmern, meinte Strom.
Ich blickte mich um. Floras Sled, der sich noch immer im lockeren Griff unserer Klaue befand, hatte sich vor das obere Fenster geschoben. Seit dem Defekt ihrer Schubdüsen hatten wir nichts mehr von ihr gehört. Möglicherweise waren die drei schwer verletzt.
»Flora?«, fragte Meda auf der Privatfrequenz. »Flora, bitte melden!«
Versuch’s über den Anzugfunk.
Meda nickte, stülpte sich einen Helm über und schnitt sich damit von unseren Intrapod-Pheromonen ab. »Flora? Hörst du mich, Flora?«, ertönte es blechern aus dem Helm, den Strom in der Hand hielt, damit wir mithören konnten.
»Ja, ich hör dich.«
»Bist du verletzt?«
»Nur ein paar Knochenbrüche und Prellungen. Aber der Sled ist im Arsch, und das Bedienfeld ist vollgekotzt.« Sie schnaubte. »Dabei hab ich seit Jahren nicht mehr gekotzt!«
Meda lachte. »Hier drüben sieht es auch nicht viel besser aus.«
Einen Moment war alles still. »Das war übrigens ein klasse Manöver, Apollo.«
Ich spürte, wie ich rot wurde. Strom tätschelte mich mit seiner riesigen Hand, die ich lächelnd abschüttelte.
»Dankeschön«, sagte Meda.
»Und, wie kommen wir jetzt wieder runter? Irgendwelche Vorschläge?«, fragte Flora.
Wir sollten versuchen die Sleds aneinanderzukoppeln, indem wir die Luftschleusen miteinander verbinden, signalisierte ich Meda in Zeichensprache. Pods konnten sich über gesprochene Worte, chemische Gedanken und Pheromone verständigen, und wenn das gerade nicht möglich war, griffen wir auf Pod-C zurück, eine modifizierte Version der Gebärdensprache, die man schon in der Krippe erlernte, im Ersten Stadium.
»Wir wollen versuchen, die Luftschleusen zu koppeln«, sagte Meda.
Glücklicherweise verfügten sämtliche Sleds über eine Ein-Personen-Schleuse mit Universalstutzen. Ich ließ eine Außenkamera rotieren, um die Lage zu checken: Floras Luftschleuse befand sich ausgerechnet auf der gegenüberliegenden Seite. Solange beide Klauen unseres Sleds verankert waren – eine an Floras Sled, die andere am Kabel –, konnten wir sie nicht erreichen. Und wenn wir eine davon ausklinkten, würden wir oder Flora, vermutlich aber wir alle, hinaus ins All treiben. Ein tückisches Problem.
Wieder gab ich Meda ein Zeichen.
»Funktionieren bei dir die Klauen noch?«, fragte sie Flora.
»Mal schauen.« Eine Pause. »Nein, die rühren sich nicht. Hier funktioniert eigentlich kaum noch was.« Eine weitere Pause. »Apollo, uns geht langsam die Luft aus.«
»Was?«
Ihr Sauerstoff müsste noch für Tage
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