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Der Ring

Der Ring

Titel: Der Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Melko
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anstarrte. Plötzlich registrierte ich die Feuchtigkeit, die sich in meiner Kleidung festgesetzt hatte, die Kälte. Der Mond hatte seinen halben Weg über den Himmel zurückgelegt, während wir hier gesessen hatten. Wie auf Kommando klapperten meine Zähne.
    Er hob mich auf, als wäre ich eine Puppe. Danke, Moira. Jetzt weiß ich, wo sie sind.
    Normalerweise war ich die Stimme der Vernunft, der Teil unserer Gruppe, der nie die Kontrolle verlor, der immer mit Bedacht handelte. Aber ich war mehr als das. Ich konnte als Katalysator fungieren wie Quant, ich konnte die Mutter spielen wie Meda. Richtig und falsch waren wichtig, aber nicht alles. Bei Strom musste ich mich nicht ständig vorsehen, bei ihm konnte ich mich gehenlassen. Ein gutes Gefühl.
    Er trug mich ins Zelt und half mir in den Schlafsack. Obwohl ich immer noch am ganzen Leib zitterte, strahlten die warmen, nackten Körper des Pods eine überwältigende Sinnlichkeit aus.
    Kommst du auch rein?, fragte ich.
    Nein.
    Ich kuschelte mich tiefer in den Schlafsack, öffnete den Reißverschluss meiner Hose und zog das Shirt aus.
    Dir ist kalt, kam es von den anderen herüber, noch halb im Traum.
    Ja, mir ist kalt. Ihr müsst mich wärmen.
    Wo ist Strom?
    Auf geistiger Suche.
    Ein amüsierter Geruch, fast ein Lachen.
    Nehmt mich in die Arme.
    Nach und nach verwandelte sich die Kälte in Hitze und dann in etwas anderes, bis mein Körper von der Reibungswärme brannte.
     
    Als die Sonne aufging, saß Strom immer noch vor dem erloschenen Feuer. Tautropfen sprenkelten seine Wangen und Schultern, aber er schlief nicht. Wir nahmen ihn in unsere Mitte, während er weiter in die Asche starrte.
    Schließlich blickte er auf. Sein nasses Gesicht schien vor Tränen überzuquellen. »Ich weiß, wo sie sind.«
     
    Wieder führte er uns in die Höhe, immer weiter hinauf in die Spalten und Schluchten des Hochgebirges. Jede Ecke erinnerte uns an unser traumatisches Abenteuer in den Bergen und an Stroms qualvolle Wanderung ins Tal, aber er trieb uns immer weiter an, über verschneite Hänge und durch unberührte, unversehrte Wälder, die älter waren als die ältesten Pods, sogar älter als die Community.
    Das Gelände wurde stetig schwieriger, bis wir am Tag nur noch durchschnittlich elf Kilometer schafften. In Quants Geist lief ein Zähler mit, der jeden Schritt und jede Biegung, jeden einzelnen Meter unserer Reise registrierte und mit der topographischen Karte abglich, die ich in Stroms Gedächtnis freigelegt hatte.
    Sieben Tage nach unserem Aufbruch von der Höhle überwanden wir den höchsten Pass. Am Gipfelpunkt blieben wir stehen, um in die Tiefe zu blicken, auf die Fels-, Eis- und Waldflächen unter uns. Aber es war zu kalt, um länger zu pausieren, wir mussten schnell einen Weg ins gegenüberliegende Tal finden. Glücklicherweise schafften wir es noch vor Einbruch der Nacht in wärmere Regionen. An einem einzigen Tag hatten wir erlebt, wie Sommer zu Winter wurde und wieder zu Sommer.
    Am nächsten Morgen machte ausnahmsweise ich die Entdeckung des Tages. Zuerst hatte ich ihn völlig übersehen, aber im letzten Moment stutzte ich und vergewisserte mich: Ja, das war wirklich ein Tatzenabdruck. Hier war ein Bär vorbeigekommen, und zwar erst vor kurzer Zeit.
    Strom ging in die Knie, um die Erde abzutasten. Sie war noch feucht vom gestrigen Regen, und wäre der schützende Stechpalmenbusch nicht gewesen, wäre der Abdruck fortgespült worden wie die anderen Spuren, die sich zweifellos in der Umgebung befunden hatten.
    Eine Woche alt?, spekulierte er. Oder zwei?
    Weitere Fährten entdeckten wir nicht, aber der Pfad, dem der Bär gefolgt war, war nicht zu übersehen: Er verlief im rechten Winkel zu unserer Marschrichtung zu einem stillen See, der in ein paar Hundert Metern Entfernung durch die Bäume schimmerte.
    Manuel versuchte, Stroms überschäumende Hoffnungen zu zügeln. Vielleicht ist es nur ein Einzeltier. Vielleicht ist es gar nicht unser Pod.
    Ich weiß, erwiderte Strom.
    Wir folgten dem Trampelpfad, der teils von lästigen, dornigen Sträuchern überwuchert war. Manuel deutete auf ein Stückchen Fell, das in einem Gewächs hängen geblieben war, während Meda im Schatten eines Baums einen weiteren, ebenfalls feuchten Pfotenabdruck entdeckte.
    Am Ufer des spiegelglatten Sees endete der Weg. Hier fanden wir keine Spuren mehr, keine Hinterlassenschaften von Bären und keinen erkennbaren Pfad. Langsam begriffen wir, dass wir in eine Sackgasse geraten waren – der Bär

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