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Der Ring

Der Ring

Titel: Der Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Melko
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verfeinern konnte.
    Aufgrund unserer Erfahrungen aus dem Überlebenstraining konnten wir uns im nahrungsreichen Sommer problemlos durchschlagen, aber der Winter bedeutete sicheren Tod. Spätestens im Herbst mussten wir die Suche abbrechen, ob wir die Bären gefunden hatten oder nicht.
    Ich weiß, sandte Strom.
    Wir können uns nicht ewig verstecken. Wieder musste ich als Stimme der Vernunft agieren. Irgendwann müssen wir zurück zu Mother Redd.
    Noch nicht.
    Aber bald.
    Mit einem Vetopheromon hätte ich einen formellen Konsens erzwingen können, aber ich verzichtete darauf.
    Immer wieder stießen wir auf Spuren von Bären: Unterschlüpfe für den Tag, Kratzer an Bäumen, eingetrockneten oder frischen Kot. Aus sicherer Entfernung beobachteten wir eine Mutter, die in einer schlammigen Senke mit ihren beiden Kleinen tobte – das waren auch nicht unsere Bären.
    Später, auf einer weitläufigen, dicht bewachsenen Talebene, begegnete uns eine grasende Elchherde. Fasziniert sahen wir zu, bis Manuel zusammenzuckte. Da!
    Aus dem nahen Wald schoss ein Braunbär hervor und attackierte den nächsten Elchbullen. Der Elch senkte das Geweih, fing den Angreifer ab und schleuderte ihn zurück. Unbeirrt holte der Bär aus und erwischte ihn an den Hörnern, bog seinen Hals zur Seite und riss ihn zu Boden. Kaum lag sein Opfer im Gras, stürzte er hinterher, rammte ihm die Klauen ins Fell und die Zähne ins Genick.
    Kein Grizzly, sandte Strom.
    Nein, das war kein Grizzly, sondern ein Braunbär mit einer gleichmäßig dunkelbraunen Mähne ohne Silberfärbung, auch wenn er dem Grizzly ansonsten ziemlich ähnlich sah. Nachdem er den Schädel des Elchs zerquetscht hatte, nagte er dessen Hinterbeine ab, während die übrige Herde in ein paar Metern Entfernung weitergraste. Als der Bär zugeschlagen hatte, hatte sie sich sofort zerstreut, doch nun, da er seine Beute hatte, war die Gefahr offenbar gebannt.
    Sobald er einen Großteil der Keulen verschlungen hatte, richtete sich der Bär auf, zerrte den restlichen Kadaver an den Waldrand und fing an, ein Loch zu graben. Mit ein paar Schaufelbewegungen seiner kräftigen Pranken brachte er eine knietiefe Grube zustande, die auch für uns fünf gereicht hätte – jetzt wussten wir also, wozu der imposante Muskelberg auf seinen Schultern diente. Schließlich zog er sein morgiges Mittagessen hinein und bedeckte es mit Blättern und Ästen. Wir hatten genug gesehen. Um nicht zwischen die Bestie und deren Speisekammer zu geraten, mussten wir das Tal weitläufig umgehen.
    Nach sechs Wochen zielloser Wanderung hatten wir wirklich genug. Hatte das alles überhaupt noch einen Sinn? Ich ahnte, dass wir noch schlimmer stanken, als unsere abgestumpften Nasen wahrnehmen konnten, und sehnte mich nach einer richtigen Dusche. Fast hätten wir sofort den Rückweg nach Denver angetreten, um dort zu überwintern. Irgendeinen Job würden wir schon finden, und im Frühling konnten wir es ja noch einmal versuchen. Vielleicht.
    Ein kühler Wind blies, die ersten Blätter färbten sich rot und gelb. Wir hatten uns gerade zusammengesetzt, um über unser weiteres Vorgehen zu beraten, als sich Stroms Bären zu uns gesellten. Niemand hatte sie kommen sehen.
    Strom, sandte der Größte der Gruppe, ein Männchen. Wir anderen nahmen den Gedanken nur über Strom wahr, selbst rochen wir nichts. Erst später lernten wir alle, unmittelbar mit den Bären zu kommunizieren.
    »Hey!« Strom sprang auf und fiel dem Bären um den Hals. Nicht mal er konnte das riesige Tier richtig in die Arme schließen. Das sind Papa, Strolch und Schlummer, stellte er seine Freunde vor.
    Als uns die beiden Weibchen anschnaubten, stieg ein starker Geruch chemischer Erinnerungen auf. Strom übersetzte für uns: eine Begrüßung. Prompt ließ sich Schlummer neben uns auf die Erde fallen und schloss die Augen.
    Ich konnte mich nicht erinnern, Strom jemals so glücklich gesehen zu haben. Und wir alle, Menschen und Bären gleichermaßen, freuten uns mit ihm.
     
    Wir gingen mit den Bären auf Futtersuche. Sie schienen uns nicht als lästiges Anhängsel, sondern als vorübergehend adoptierte, etwas seltsame Artgenossen zu betrachten. Gemeinsam liefen wir einen ausgetretenen Bärenpfad hinunter und naschten die gleichen Beeren wie zuvor. Ab und zu rissen unsere neuen Freunde die Borke von Kiefern herunter, um die nahrhafte Kambiumschicht freizulegen und darauf herumzukauen. Strolch hatte eine Vorliebe für Weißkiefern und wusste genau, wo sie wuchsen. Oft

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