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Der Ring

Der Ring

Titel: Der Ring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Melko
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antwortete Schlummer stolz.
    Strolch, die Ältere und deutlich Aggressivere der beiden Weibchen, stieß sie zur Seite. Die haben wir vom Doktor. Als sie »Doktor« dachte, erschien eine Gestalt vor meinem inneren Auge: ein hochgewachsener Mann im Laborkittel mit einem fast schon komisch überzeichneten Gesicht. Auch unsere Abbilder in den Köpfen der Bären wirkten wie Karikaturen, während sie unseren Geruch äußerst präzise erfasst hatten; entsprechend wurde auch die Darstellung des Doktors von einem unverwechselbaren Duft begleitet. Unsere Freunde waren kurzsichtig, hatten aber hervorragende Nasen.
    Das sind sehr hübsche Taschen, sandte ich.
    Schlummer nickte begeistert. Ja, ich mag meine Handtasche. Wie so oft ließ sie sich durch Strolchs Grobheit kaum beeindrucken – kein Wunder, war sie doch fast genauso groß.
    Ich wollte es genauer wissen. Wo ist der Doktor?
    Im Norden, meinte Papa.
    Besuchen wir ihn bald?
    Er schnaubte. Bestimmt, bevor Strolch ihre Kleinen Bären bekommt.
    Werden die Kleinen Bären zu euch gehören? Ich verwendete ein umfassendes »Euch«, das den gesamten Pod einschloss.
    Natürlich, antwortete Strolch.
    Papa warf ihr einen Blick zu, als wollte er noch etwas sagen. Aber er schwieg.
    Den Rest des Vormittags vergnügten sich die Bären mit einem alten, termitenzerfressenen Baumstumpf. Zwei hoben den Stamm an und schüttelten ihn, während der oder die dritte die Tatzen ausstreckte, um den Termitenregen aufzufangen.
    Termiten! Igitt!
    Wir sollten …
    Mit einem Mal schob sich ein Schleier vor die Gedanken des Pods. Ich fühlte mich wie Quant, wenn sie im Anblick eines beliebigen Gegenstands versank. Aber ich war nicht nur abgedriftet – ich war todmüde. Meine Augen fielen immer wieder zu, ob ich wollte oder nicht. Irgendetwas war ganz und gar nicht in Ordnung mit mir.
    Im nächsten Moment kippte ich der Länge nach um und klatschte mit der Wange in den Schlamm.
    Ihre Haut brennt!
    Hat sie nicht genügend Antikörper produziert?
    Irgendjemand berührte mich am Handgelenk. Ich zuckte zusammen.
    Sie braucht einen Arzt.
    Die Bären versammelten sich um mich, während Strolch sich noch die letzten Termiten aus dem Gesicht leckte. Wieder erschien ein Bild vor meinem inneren Auge: derselbe nette Doktor im Laborkittel, wie er sich um sie und ihren Pod kümmerte.
    Der Doktor kann helfen.
     
    Ich schwebte zwischen Schlafen und Wachen. Im einen Moment konnte ich mich kaum rühren, im nächsten steigerte ich mich in wüste Fieberträume hinein. Die Wunde an meinem Arm hatte sich infiziert, eine Infektion, gegen die ich keine Antikörper mobilisieren konnte.
    In meiner Vorstellung trugen Legionen weißer Blutkörperchen einen erbitterten Kampf um Elle und Speiche aus. Guerillas duckten sich in die Niederungen der Kapillaren, bedrängt von den grellen, lärmenden Farben der Schlacht.
    Strom und Papa wechselten sich mit dem Tragen ab, bis die beiden zu einem Mischwesen verschwammen, bis ich mich an Stroms Fell klammerte und Papas zweibeinigen Gang bewunderte. Ich versuchte, meine wirren Gedanken für mich zu behalten, aber sie entglitten mir immer wieder und griffen auf den Pod über. Die Luft war voll von Halluzinationen.
    Abends überredeten mich Meda und Quant, verschiedene Antikörper zu produzieren. Aber daran erinnerte ich mich erst später, als ich der pulsierenden, vielfarbigen Traumwelt entkommen war. Erst dann erfasste ich, was geschehen war: dass uns die Bären durch das Bergtal zu ihrem Zuhause geführt hatten, wo wir Dr. Immanuel Baker kennengelernt hatten. In der Rückschau spulten sich die Ereignisse wie ein Film oder ein Theaterstück ab, an dem ich kaum beteiligt war. Ich spielte eine Nebenrolle, die immer denselben Auftritt hatte – sie halluzinierte. Aber das konnte sie wirklich gut.
    Mitten in der Nacht wachte ich auf. Ich befand mich in einem Zimmer, ohne die Jungs, aber mit Meda und Quant. In ihren Träumen brachen sie durchs Unterholz, flogen durch ein Gewirr von Ästen. Ich wusste nicht, wo ich war. An meinem Arm, der immer noch steif war, entdeckte ich einen frischen Verband.
    Ich ging zur Tür. Sie war nicht verschlossen, dahinter lag ein schwach beleuchteter Flur. Ich sog feuchte Luft ein – befand ich mich in einem Keller? – und betastete die kühlen Betonwände. Dann roch ich die Bären; ihr Geruch drang in jede Ecke, ihre Gedanken waren ganz nah, auch wenn ich sie nicht deuten konnte.
    Ohne zu überlegen entschied ich mich für irgendeine Richtung, plötzlich voller

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