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Der Riss

Der Riss

Titel: Der Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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murmelte er und zündete erneut.
    „Komm hierher zurück!“, schrie Dess.
    Endlich sprang die Flamme über. Dreißig Zentimeter Zündschnur fielen zu Boden, an beiden Enden brennend. Das kürzere Stück an der Dose flackerte und zischte im Regen, dann stabilisierte sich die Flamme und begann, die letzten Zentimeter weiterzukriechen.
    Rex ließ sich keine Zeit zum Zusehen. Er wirbelte auf dem linken Absatz herum und rannte zum Unterstand zurück, beide Ohren bereits mit den Händen bedeckt.
    Als er gerade um die Ecke bog, kam sein Stiefel auf dem regennassen Dach ins Rutschen und schleuderte ihn schmerzhaft auf den Asphalt. Er kroch das letzte Stück und kauerte sich neben Dess an die Seitenwand des Unterstandes, mit geschlossenen Augen und immer noch zugehaltenen Ohren.
    „Rex, du Vollidiot!“, schrie Dess. „Du hättest mir fast eine Herzatta… “
    Die Bombe explodierte mit einem riesigen Krach – weniger wie ein Geräusch, sondern eher wie physischer Schlag, wie ein Kartoffelsack, der Rex auf der Brust traf. Selbst auf seinen geschlossenen Augenlidern spürte er die Erschütterung, und ein einzelner, furchtbarer Lichtstrahl schoss durch sie hindurch.
    Einen Moment lang blieben alle anderen Geräusche verschwunden, als ob der Lärm der Bombe der restlichen Welt die Geräusche entzogen hätte. Allmählich kehrte dann aber das Murmeln des Regens zurück, und Rex wagte, seine Augen zu öffnen.
    Er sah auf die Uhr: zwanzig Sekunden bis Mitternacht.
    Dess und er erhoben sich auf die Füße und spähten um die Ecke. Von dem Farbeimer war natürlich nichts übrig geblieben, und die Handyantenne war schwarz und zerfetzt, verbogenes und verdrehtes Metall, das nach allen Seiten abstand.
    „Mann, cool!“, sagte Dess.
    Rex humpelte hinter ihr her zum Rand des Daches, während er seine Darklingohren auf die Stadt unter ihm ausrichtete …

    Der liebliche Klang von Autoalarmen erschallte über ganz Bixby, einhundert Hupen und Sirenen und Summer in einem riesigen ungeordneten Chor vereint. Rex stellte sich vor, wie sich die Leute im Schlaf umdrehten, vorwurfsvoll auf ihre Weckuhren starrten und sich fragten, was der ganze Lärm sollte. Selbst aus dem tiefsten Schlaf würden alle geweckt sein, wenn in zehn Sekunden die Midnight eintraf. Perfektes Timing.
    Hier in der Stadt würde natürlich niemand die blaue Zeit sofort spüren. Der Riss musste sich erst von Jenks bis in die Innenstadt fortsetzen. Aber all jenen, die von der Bombe geweckt worden waren – und all den anderen, die ohnehin bis spät in die Nacht fernsahen oder im Bett lasen – würde die Verzögerung nur wie ein Augenblick vorkommen. Plötzlich würde sich um Mitternacht die Welt blau verfärben, alles mit dem roten Schimmer des Risses versehen, Fernseher, Radios und Autoalarme, die unvermittelt verstummten.
    Wer hinausging, um nachzusehen, würde den dunklen Mond vorfinden, wie er am Himmel stand, und die letzten Sekunden Regen, wenn er auf die Erde fiel. Und bald würden sie das Feuerwerk in der Innenstadt sehen, das Einzige, was sich am erstarrten Horizont bewegen würde.
    Hoffentlich würden sich dann viele auf den Weg in die Innenstadt machen, um nach einer Erklärung zu suchen. Bis dahin würde Jonathan zwischen ihnen umherfliegen und ihnen sagen, dass sie sich so schnell wie möglich zu diesem Gebäude begeben sollten. Solange die Schutzwälle der Midnighter in Jenks den Hauptstrom der Darklinge aufhalten könnten, hätten sie Zeit, sich dort hinzubegeben.
    Während er mit Dess darauf wartete, dass die letzten Sekunden der normalen Zeit verstrichen, holte Rex tief Luft. In den nächsten fünfundzwanzig Stunden würde die Menschheit zu einer verfolgten Spezies werden, all ihrer schlauen Spielereien und Maschinen beraubt, vom Königsplatz in der Nahrungskette entthront. Wer das schnell genug begriff, würde wegrennen und überleben, wer sich weigerte, das zu glauben, würde umkommen.
    Mit seiner Darklinghälfte fand Rex für einen kurzen Moment, dass dies vielleicht gar keine so schlechte Sache war.
    Ohne Räuber, die in der Herde eine Auslese trafen, hatte sich die Menschheit unkontrolliert auf der Erde ausgebreitet, den Planet über dessen Ressourcen hinaus bevölkert, überheblich und arrogant. Eine Nacht pro Jahr, in der sie gejagt wurden, könnte ihnen guttun.
    Dann schüttelte er den Kopf, zitternd im kalten Regen.
    Darklingerkenntnisse hatten seinen Verstand die ganze Woche gefoppt, er wusste aber, dass er nicht zulassen durfte, so zu denken

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