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Der Riss

Der Riss

Titel: Der Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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er.
    Sie blickte dahin zurück, wo sie hergekommen waren, und bekam große Augen. „Jonathan …“
    Der Riss rollte jetzt auf sie zu, höher als ein Wolkenkratzer, breiter als ein Fußballfeld. Wenn die Grenze der roten Zeit auf den Regen traf, setzte sie riesige Wassermassen frei. Wie eine gewaltige, karmesinrote Flutwelle, die durch die Straßen von Bixbys Innenstadt rollte.
    Hinter ihr flog ein Schwarm Darklinge, tausend geflügelte Gestalten in jeder Größe, unermessliche Wirbelwinde aus rot und schwarz glitzernden Gleitern, die ihre rattenartigen Schreie ausstießen. Eine verknotete Gruppe der Tentakelwesen, deren Appendizes wie Haarflechten miteinander verwoben waren, flog in der Mitte der Horde.
    „Rex hat es nicht geschafft“, sagte sie leise. „Beth …“
    „Nein, sieh mal.“ Jonathan deutete mit dem Finger. Meilenweit entfernt erhob sich eine winzige Feuerfeder über Jenks in den Himmel, die Funken und Explosionen in allen Farben regnen ließ. „Er und Melissa müssen einen Teil aufgehalten haben. Vielleicht sind es mehr, als wir dachten.“
    Jessica nickte bedächtig. Ihr sorgsam vorbereiteter Plan war erbärmlich unangemessen gewesen – ein paar Feuerwerkskörper gegen eine Armee aus Monstern.
    Sie riss sich von dem Anblick los, ließ Jonathans Hand los und rannte auf das Riesenpferd zu. Sein tiefster Huf reichte fast bis auf das Dach hinunter – ein Ausläufer des gefangenen Blitzes wand sich um dessen Metallstütze: strahlende, summende, gebündelte Elektrizität.
    Sie streckte die Hand aus, Handfläche nach oben, als ob sie die Hitze eines Feuers testen wollte. Enorme Energien bewegten sich darin, an ihren Armen standen die Härchen senkrecht, überall in ihrem Körper kribbelte es. Es war wie das großartige, summende Gefühl, als sie zum ersten Mal weißes Licht in die blaue Stunde gebracht hatte, nur tausendmal intensiver. Es ließ ihr Herz schneller schlagen, ihr Blickfeld verschwimmen.
    Erstarrt oder nicht, dass hier war ein echter Blitz, erkannte sie. Eine Ehrfurcht gebietende Kraft der Natur, unvorstellbar tödlich. Als ob man die Hand in eine Steckdose stecken würde, aber millionenfach stärker. Was würde mit ihr passieren, wenn sie da hineingriff?
    Sie wusste nur, was geschehen würde, wenn sie es nicht tat: Tausende würden sterben, die Alten, die sich an ihren Opfern hemmungslos labten, die Menschheit ihren ältesten Widersachern gnadenlos ausgeliefert.
    „Ich muss das tun“, sagte sie leise.
    „Bist du sicher?“ Jonathan stand direkt hinter ihr.
    „Tritt zurück.“
    Er schüttelte den Kopf, packte sie, um sie zu küssen. Dann spürte es Jessica auf ihren Lippen: die Energie des gefangenen Blitzes, überall um sie herum, vermischt mit dem schwindelerregenden Leuchten von Jonathans Mitternachtsschwerelosigkeit. Ihre Haut schien Spannung aufzunehmen, von den wilden Strömen und der Hitze, die darüberlief.
    Jonathan ließ sie los und trat zurück. „Okay. Jetzt mach schnell.“

    „Weiter zurück, Jonathan.“
    Er nickte und machte einen Satz an den Rand des Daches.
    Hinter ihm hatte sie die karmesinrote Welle fast erreicht, ein turmhoher Streifen aus stürzendem Wasser und kreischenden Räubern.
    Plötzlich stieg ein fauchendes Raketenbataillon zu ihnen auf und ergoss sich in Schauern aus weißem Licht. Darklinge kreisten und wirbelten herum, um ihnen zu entkommen.
    „Dess“, flüsterte sie. Das andere Gebäude, nur einen Sprung weit entfernt, war jetzt in dem Riss.
    Jessica Day stieß mit ihrer Hand in den Blitz …
    Das erstarrte Gewitter fuhr wie eine Explosion durch sie hindurch. Donner dröhnte in ihren Ohren, und Welle um Welle wälzte sich Energie gnadenlos durch Jessica, bis ihr Körper zu verschwinden schien und sie nichts mehr spüren konnte, außer der Urenergie, die in jenem einzigen Augenblick eingeschlossen wurde, als es blitzte. Sie nahm in ihr Gestalt an, weiße Punkte tanzten vor ihren Augen, ihr Trommelfell platzte, ein metallischer Geschmack fuhr über ihre Zunge.
    Sie fühlte sich, als ob es sie in Stücke reißen würde.
    Dann brach die weiße Hitze wie eine Flut hervor, schoss auf die sich nähernde Wand des Risses zu, schnitt sie auf und in das Heer aus Darklingen und Gleitern, Feuer sprang in einem wilden Zickzackmuster von einer Kreatur zur anderen.
    Die Meute aus fliegenden Biestern machte aufjaulend kehrt.
    Wieder brach ein Blitzstrom aus Jessica hervor, dann zwei weitere – vier Feuerlinien, die in die Richtungen des Kompasses ausfuhren,

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